Die Unterschicht ist zurück mit einem weiteren Album und ich werde keine Wortspiele machen sondern nur feststellen: ich halte den Albumtitel für wenig angebracht in der aktuellen Situation (er wäre in meinen Augen nur stimmig, wenn sich auf dem Album Hinweise zeigen würden, dass die Musiker sich mit der tatsächlichen Korrelation zwischen finanziell schlecht gestellten Gesellschaftsteilen und erhöhter Infektionsrate befassten. So sehe ich es als unnötige Pointe für mehr Aufmerksamkeit).

Ansonsten kommt es mir so vor, als ob die Band Erfolg hat mit ihrem Konzept, denn sie verfolgen es seit einigen Alben konsequent. Und weiterhin komme ich schnell rein in die gebotene Musik und finde viele positive Aspekte und habe nur einen Kritikpunkt. Musikalisch ist man relativ abwechslungsreich unterwegs zwischen fast schon hellectroartiger Härte, die mich auch im Klang zum Teil an eher ältere Suicide Commando, oft an spätere Wumpscut und manchmal Hocico erinnert bis hin zu balladigen Elektronummern, die durchaus im Blutengelsortiment auftauchen könnten. Die Programmierung ist klasse. Ich kann es nicht anders sagen - nein, hier wird nicht besonders innovativ oder progressiv gearbeitet, vielmehr vermengt man Elemente aus unterschiedlichsten elektronischen Spielarten, die Bässe wummern nicht nur monoton dahin, es wird episch-orchestral und quietischig-schräg, technoid und wavig. Alles ist fein abgestimmt - hier regelt jemand mit Liebe Sounds, die er selbst schon lange gerne hört. Wie auch schon bei meinem letzten und bisher einzigen Kontakt ('Monster Akt 2') könnte mir das Album, dass leider auch am Starker-Einstieg-dann-Flaute Syndrom leidet, deutlich besser gefallen, wäre es rein instrumental. Das zeigt sich an meinem Favorit: „Des Monsters Totenlied“ ist der einzige Track ohne Vocals. Es ist und bleibt mein einziger, aber mehr als deutlicher Kritikpunkt an der Unterschicht: weder finde ich die gebotenen männlichen Vocals schön anzuhören, noch kann ich den Texten irgendetwas abgewinnen.

Es ist so schade: „Chernobog“ ist ein wundervoll programmierter Song. Wirklich, er ist toll. Er erinnert an den Elektro, der in den frühen 2000ern zum Tanzen einlud. Ich bin ehrlich verzückt, aber die männlichen Vocals klingen, als ob jemand ganz stark an Verstopfung leidet und sich durch eine WC Session quält und auch der lyrische Inhalt ist fürs Klo. Nein, nicht unangenehm, sondern unbeeindruckend, lahm und 08/15 - da ist der Kontrast zur gelungenen Musik verdammt groß. Auch „Psychokiller“ hat die gleichen Qualitäten und das gleiche Problem. Die Samples gehen soweit noch in Ordnung, Standard halt, aber

„...deine Schreie werden stiller
jaaaaaa, ich bin der Psychokiller,
lasse dich entführen,
mit meinen Messern deine Nieren berühren“

rausgequält und wenig humorvoll vorgetragen. Ich bin mir sicher, Unterschicht halten dies für augenzwinkernd und in die Seite knuffend komisch, aber so sieht Mario Barth sich wohl auch. Ich bin nicht die Zielgruppe. Es folgen 10 Songs, die auch musikalisch nicht wirklich nachhaltig kicken (die meisten sind halt nett, ganz schlimm ist „Dr. Satan“ und etwas hervorheben muss man den schönen Refrain von „Ich lass mich fallen“). Am Mikro wechselt man sich dankbarerweise ab, die weiblichen Vocals gehen in Ordnung und stoßen mir nicht so auf, aufgrund der nur soliden Songqualitäten kommen sie aber nicht so wirklich zum Tragen. Und dann, nach 13 Liedern ists vorbei und die Erde dreht sich unbeeindruckt weiter.

Musikalisch an vielen Stellen voll mein Fall mausern sich Unterschicht zu meinen Umbra et Imago des Elektros: Alles nett bis sehr gut, wenn man das Mikro ausstellen würde. Ich bin mir sicher, wem Vocals in diesem sowieso nicht für literarische Qualitäten bekannten Genre (es gibt Ausnahmen, ich weiß, aber sie machen deutlich nicht die Mehrheit aus) egal sind, der wird das Album deutlich mehr genießen können, live ists bestimmt auch genau das, was die Fans erfreut. Mir ist 'Monster, Akt 2' als Album besser in Erinnerung, mit „Chernobog“ und dem Abschlusssong befinden sich auf 'Krank' aber die besseren Lieder. Ein Daumen halb hoch mit Vorbehalt und verzerrtem Gesicht?

Unterschicht
Krank - Lass mich allein

27.03.2020
Danse Macabre

https://unterschicht.bandcamp.com/album/krank-lass-mich-allein

01. Chernobog
02. Psychokiller
03. Panta Rhei
04. Ihr habt alle gefickt
05. Zirkus des Wahnsinns
06. Horrorhospital
07. Wir waren nicht bereit
08. Dein Blut
09. Dr. Satan
10. Lass mich allein
11. You can run
12. Ich lass mich fallen
13. Des Monsters Totenlied