„PARENTAL ADVISORY“! Unglaublich, aber wahr: Ich darf / muss eine CD mit diesem gefürchteten Hinweis rezensieren. Dabei handelt es sich nicht um rüden Gangsta-Rap direkt aus einer millionenschwer eingerichteten Ghettokulisse, sondern um Electro-Wave, den treue Leser des Medienkonverters bis dato selten in lyrisch „kritischen“ Gefilden verorteten. Doch beim neuesten Album des italienischen Ein-Mann-Projekts „TourDeForce“ ist alles anders. Historische Referenzen, bzw. Bezüge zur finsteren deutschen Geschichte ziehen sich durch die komplette Präsentation. Dies beginnt beim Albumtitel „Jedem Das Seine“ – ein Slogan, der auch über dem Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald prangte. Dann tanzt beim vorab veröffentlichten Video zu „History is written by the winners“ eine Eva Braun freudestrahlend durchs Bild, posiert mit Eichhörnchen und badet unbedarft im See. Weitere Songtitel wie „Adolf Hitler Platz“ oder „Did six million really die“ tragen ihr Übriges zum sehr zweifelhaften ersten Eindruck bei. Das Presseinfo wartet dankenswerterweise mit folgender Klarstellung auf: „TourDeForce does not approve, support or idolize statements concerning historical revisionism, holocaust denial and nazism included in this recording.“ Lassen wir diese Einordnung zunächst so stehen und konzentrieren uns auf die Musik. Christian Ryder, der für Ton und Text verantwortlich zeichnet, serviert auf knapp 40 Minuten eine interessante Mixtur aus Electropop, Wave, 80er Elementen, die insbesondere in punkto Melodieführung und Drumprogrammierung mit Abwechslungsreichtum zu überzeugen weiß. „History is written by the winners“ und – ja – auch „Adolf Hitler Platz“ sind die eingängigsten Titel. Letzterer bietet einen spannenden Break vor dem Outro, der mit einem Neuroticfish-Sample eingeläutet und um Fliegeralarm-Sirenengeheul ergänzt wird. Auch eine weibliche Stimme kommt zum Einsatz, leider bleibt es deren einziger Auftritt. Die Betonung liegt tatsächlich auf „leider“, denn Christians Vocals können in den Höhen nicht überzeugen, kommen zudem mit wenig Druck aus den Boxen. Komplexere Strukturen weisen jene Songs der zweiten Albumhälfte auf, wie das gelungene, sphärische EBM-Pop-Schmankerl „Human Geometries“ oder die brüchige Ballade „The Time – Music of Quasers“. Mit „No Other Forms of Life“ wird am Ende soundtechnisch der Bogen zum Einstieg der Platte geschlossen, womit wir erneut zum lyrischen Kontext zurückkehren. „History is written by the winners“, starring Eva Braun, ist unter dem ersten Youtubelink auf der rechten Seite zu begutachten – ein Urteil sei jedem Hörer selbst überlassen. Anscheinend wird in diesem Song die vermeintlich einseitige Geschichtsschreibung aus Sicht der Siegermächte kritisiert und deren Vermittlung im Rahmen der schulischen Bildung. Als aufgeklärter Bürger muss man dieser blödsinnigen These zwangsläufig widersprechen, kann aber dennoch zugestehen, dass TourDeForce musikalisch vieles richtig machen. Auf dem „Adolf Hitler Platz“ wartet sogar eine überaus einprägsame Melodie, die vernünftig überarbeitet ein echter Single-Club-Hit werden könnte. Aber sollte man der Band ernsthaft empfehlen, eine Single mit dem Titel „Adolf Hitler Platz“ auszukoppeln? Never! Selten fiel es mir so schwer, eine CD objektiv gerecht zu bewerten. Die Musik verdient locker 5 Sterne, stimmlich bleibt bei 3,5 Sternen noch deutlich Luft nach oben und wie man zu den aus meiner persönlichen Sicht SEHR problematischen Texten steht, ist der eigenen politisch- ethischen Einstellung vorbehalten. Deshalb bleibt dieser Punkt beim 4,5/6 Gesamturteil außen vor, sollte aber vor Kauf des Albums unbedingt bedacht werden. Parental Advisory, Leute!