Vom Front 242 Thronfolger zum Phantom: Die unglaubliche Geschichte von Mastertune

Vom Front 242 Thronfolger zum...

Gerne blicken wir hier auf unserer Webseite Jahrzehnte später auf jene großen Erfolgsalben zurück, die die Szene geprägt, verändert oder wenigstens einmal nachhaltig ins schwarze Herz getroffen haben. Aber – Hand aufs kalte Synthesizer-Gehäuse – es gibt eben auch die anderen Alben. Die Projekte, die mit Pauken, Trompeten und sehr lauten Presseinfos an den Start gingen, um dann schneller wieder zu verschwinden als ein schlecht gesicherter USB-Stick auf einem Festivalgelände. Diese Bands, von denen man nie wieder etwas hört, obwohl sie einst mit dem Selbstvertrauen eines Start-ups antraten, das glaubt, die Welt mit einer App zu retten, die nur ein blinkendes Icon anzeigen kann. Genau solche Fälle faszinieren uns mindestens genauso wie die großen Klassiker – denn sie erzählen Geschichten von Ambitionen, Mut, seltsamen Entscheidungen, verlorenen Chancen und manchmal sogar von Schlagern, die in EBM getaucht wurden. Und damit wären wir bei einer dieser musikalischen Sternschnuppen, die kurz aufleuchteten, uns fragend zurückließen und danach so konsequent verstummten, dass man fast meinen könnte, sie hätten sich in eine Parallelwelt verabschiedet: Mastertune.

Es gab einmal eine Zeit – Anfang der 2000er, als Handys noch Antennen hatten und MP3s pro Minute Download Lebenszeit kosteten –, da betrat eine Band namens Mastertune die Bühne mit dem Selbstbewusstsein eines Projekts, das fest davon überzeugt war, die würdigen Nachfolger von Front 242 zu sein. Ja, genau: nicht „inspiriert von“, nicht „wir lieben die Belgier“, sondern gleich der ganz große Satz. Und wir beim Medienkonverter saßen damals da, hörten das Album 10tacles, schauten uns gegenseitig an und dachten: „Okay, mutig. Sehr mutig.“ Unser damaliger Review stellte fest, dass Mastertune zwar eine Menge vorhatten – EBM neu definieren, die Szene aufrütteln, uns alle mit basslastiger Erleuchtung segnen –, aber dass das Album selbst irgendwo zwischen ambitioniertem Maschinenritual, Soft-EBM und einem rätselhaft aufgepumpten Schlagercover hin- und herpendelte. Ja, Dear Friend: eine elektronische Neuinterpretation von „Ein Freund, ein guter Freund“. Damals schrieben wir sinngemäß: „Nicht unbedingt das Highlight dieser CD.“ Und die Wahrheit ist: Die Szene wusste schlicht nicht, ob das ein Witz, ein avantgardistisches Manifest oder der verzweifelte Versuch war, EBM endgültig in alle Haushalte zu bringen. Man kann nicht sagen, sie hätten es nicht probiert.

Gleichzeitig gab es diesen einen Lichtblick: „Emotions“, der Track, bei dem wir schon damals meinten, dass Mastertune hier plötzlich zeigten, was sie eigentlich könnten. Da war Druck, da war Struktur, da war plötzlich diese Verbindung zwischen Anspruch und Umsetzung, die uns kurz innehalten ließ. Kurz. Sehr kurz. Denn kaum hatte sich das Album in unsere Ohren gebohrt, schlich sich auch schon das Gefühl ein, dass diese Band mit riesigen Ambitionen angetreten war, aber noch nicht genau wusste, ob sie die EBM-Revolution ausrufen oder einfach nur versuchen wollte, die Lücke zwischen Synthpop und Körpermusik auf charmante Weise zuzuspachteln.

Übrigens existiert seit 2022 eine offizielle Website von Mastertune – mastertune.eu –, die so wirkt, als hätte jemand voller Elan „Neustart!“ gerufen und dann festgestellt, dass Content-Pflege doch anstrengender ist als gedacht. Dort findet man stolz eine Diskographie-Rubrik, die ankündigt, dass „alle Werke dann demnächst erscheinen“ – und genau dieser Satz ist seither das bestgepflegte Element der Seite. Es ist eine Art digitales Denkmal: der Versuch eines Comebacks, eingefroren im Moment des guten Vorsatzes.

Und dann – nun ja. Nach 10tacles warteten wir alle gespannt auf das nächste Kapitel. Ein neues Album. Ein Nachfolger. Eine EP. Eine Single. Ein Lebenszeichen. Ein Atemzug. Irgendeine Form von audiovisueller Existenz. Wir hätten uns sogar über eine MySpace-Ankündigung gefreut! Doch stattdessen geschah exakt so viel wie in einem dunklen Raum ohne Stromanschluss: nichts. Die Band, die sich selbst bereits in die Ahnengalerie der belgischen Elektronik einordnete, verschwand nach diesem vierten Album auf eine Weise, die selbst für EBM-Verhältnisse beeindruckend war. Keine neuen Tracks, keine Tour, keine kryptische Reunion-Ankündigung, nicht einmal ein überraschender Remaster-Post auf Facebook. Es ist, als hätte jemand nach Veröffentlichung des Albums den Stecker vom Projekt gezogen und vergessen, ihn jemals wieder einzustecken.

Und rückblickend betrachtet passt das irgendwie ins Gesamtbild: Eine Band mit großen Zielen, einem Album voller – nennen wir es großzügig – „spannender Entscheidungen“, einer seltsamen Mischung aus Potenzial und Stilverwirrung, einem mutigen Schlager-Remake und einem einzigen Track, der tatsächlich zeigte, was möglich gewesen wäre… und danach eine Stille, die so absolut war, dass man sie fast schon als Konzeptkunst durchgehen lassen könnte. Heute wirkt Mastertune wie ein charmantes Szene-Phänomen: ein Projekt, das mit voller Geschwindigkeit auf die große EBM-Kreuzung zuraste, kurz hupte, laut blinkte, dann in eine Seitenstraße einbog und nie wieder gesichtet wurde. Unser Review damals klang fast schon prophetisch – die Band wollte hoch hinaus, aber das Triebwerk lief nur in einzelnen Momenten wirklich rund.

So bleibt Mastertune im Jahr 2025 ein kurioser Zeitkapsel-Moment der Szene: ein Album, das aufblitzte, irritierte, überraschte, Lieder coverte, die niemand darum gebeten hatte, und das uns letztlich zeigt, dass selbst große Ambitionen manchmal im Rauschen verschwinden. Oder um es mit einer gewissen EBM-Attitüde zu sagen: Mastertune kamen, pumpten Sequenzen, schwangen die große 242-Keule – und lösten sich danach auf wie ein Sample, das jemand im Winamp-Ordner versehentlich gelöscht hat.

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