Thomas Sabottka ist sich selbst treu geblieben & hat die gleichen Probleme wie viele Andere seines Jahrgangs auch. Dieser Satz würde die Quintessenz & den Auslöser zu seinen 19 Kurzgeschichten beinahe ausreichend beschreiben... aber ganz so einfach will man es sich ja dann doch nicht machen. Zumal es sich hierbei um ein limitiertes Gemenge handelt, dem es nicht wirklich ausreichend gelang drei verschiedene Medientypen in etwas Homogenes zu verschmelzen. Eins ist klar. Thomas Sabottka ist ein Autor, der bekannte Namen an seiner Seite nicht scheut. Als Redakteur eines Gothic-E-Zine prügelte er vor Jahren noch regelmäßig auf Thomas Rainer ein - aber mit 40 Lenzen wird man milder oder altersweise. Zumindest will er als Autor eines nicht bleiben: "Namenlos"! Für das gleichnamige Album von L’ âme Immortelle, welches sich thematisch mit den alten Wiener Friedhöfen der unbekannten Donau-Leichen beschäftigt, hat er das Konzept weiter ausgebaut. Nach einem abschließenden Essay zum Album & Gastauftritt auf deren Tour, wird nun das Rainer'sche Sujet als Kurzgeschichtenbändchen vollends ausgewaidet & mit personalisierten Zeilen zum Selbstmörder-Friedhof Grunewald-Forst verbreitert. Natürlich nicht ohne die Erwähnung das dort Christa Päffgen, besser bekannt als Nico, begraben liegt... Klischeefrei wolle er sich mit unserer Erinnerungskultur auseinandersetzen. Schreibt er. Doch er bestätigt von Anfang an alle meine Befürchtungen. Seinen Kurzgeschichten merkt man die hastige Arbeit an jeder Zeile an. Man hat den Eindruck, alles sei schon früher so gesagt worden, genauso beschrieben worden. Auch von ihm selbst. Das mag dem Einsteiger nicht auffallen, den Kenner verfolgen jedoch sein unbestrittenes illustratives Talent & die unverwechselbare Plastizität seiner inzwischen recht fossilen Protagonisten aus den ersten beiden Romanen. Der kurzsichtige Hass Heranwachsender, Verzweiflung & Alltagskonflikte wird überzeugend geschildert, bei der "Hafensanierung" kommt noch eine Prise Albtraum dazu. Der Autor beschönigt nichts, lässt keinen Zweifel daran, dass Auffahrunfälle im Liebestaumel alles andere als ein Happy End sind. Doch "Jim" (Morrison?) könnte ein eineiiger Zwilling von Indigo sein & selbst die Paracetamolträume finden sich wortwörtlich wieder. Aus diesem Stoff lassen sich schwerlich Gesellschaftsepen basteln, dass hat beinahe soviel Sinnlichkeit wie die TV-Zeitschrift vom letzten Monat. Der Autor meint etwas zur Erinnerungskultur beitragen zu müssen & weil ihm Kurzgeschichten im Grunde dafür wohl zu klein sind, braucht er breitere Flügel. Er erinnert sich (wie schon so oft) an Alexander Frank Spreng. "Memorial" ist dankenswerterweise, durch Idee & Mitarbeit von ASP, zur nachdenklich unterhaltsamen Vampir-Moritat ohne den sonst vorherrschenden Beigeschmack einer lauen Unterhaltungsdienstleistung mit popkultureller Avantgarde-Attitüde geworden. Daran werde ich mich sicher noch lange erinnern... Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Dem Wahnwitz der Buchstaben entkommt man recht schnell auf den Fotos von Butow Maler. Er fotografiert nicht mehr, er erschafft bildhafte Emotionen surrealen Ausmaßes. Morbide, kalte Settings erhalten bei ihm regelrecht strahlende Opulenz. Seine Porträts erzählen lautlos Lebensgeschichten & zeigen nicht nur pulsierende Objekte. Vertraute Sujets erhalten mittels meisterlicher Nachbearbeitung mal einen ironischen, mal einen korrodierenden Subtext - jedoch nie die wohl inzwischen trendige filtrierte Verschlimmbesserung. In seiner Gestaltungswut erahnt man unmissverständlich, dass das eigene Ableben eine Trennung von sozialen Bindungen, Überzeugungen, Vorlieben & Ängsten sein wird... Schade das der Fotograf Butow Maler bisher noch keinem eine Schlagzeile wert war. Jammerschade, dass Schwärzungskurve & Kontraste ein wenig unter dem hier verwendeten Papier leiden. Für elf weitere Euro mehr erhält man die auf dreihundert Stück limitierte Edition. Jene inkludiert neben einer Bauchbinde fürs Buch noch eine unverhüllte CD mit knapp 35 Minuten Musik von Kammer Sieben. Das vorrangig dem neo-klassisch-folkigem verhaftete Projekt von Butow Mahler & Herrn Twiggs erzielte mit einer Demo-Version von "Dismembered Memories" einen nachhaltigen Achtungserfolg, im Jahre 2005, auf dem Label-Sampler „Eisiges Licht“. Ausgefeilter war das Lied dann auf ihrem 2007er Debüt "Unfinished Movies" zu hören & auf dieser CD nun präsentiert die, inzwischen zum Quintett avancierte Band, zwei weitere Spielarten davon. Die Piano-Version gibt meines Erachtens am schönsten die verträumt-sphärische Stimmung des einfach mal den Gedanken nachhängen wieder. Der perfekte Soundtrack für einsame Waldspaziergänge, morgens um fünf. Etwas martialer gerät dann die "Heilige Liebe". Aber mit der Liebe ist das manchmal gar nicht so einfach, mit dem Singen darüber erst recht nicht. Mir missfällt Herrn Twiggs recht bemüht klingender deutschsprachiger Heldengesang erneut, aber das ist nun mal reine Geschmackssache. Wirklich unschön wird’s erst wenn beim Mastering die Titel durcheinander purzeln & die Tracklist dem nicht Rechnung trägt. Jene recht passable Interpretation von "Into the Waves", dem Attrition-Klassiker vom 95er Album "In The Realm Of The Hungry Ghosts", findet man erst auf der Startposition 6. Nachfolgende Tracks, wie die Georg Trakl-Vertonung "In den Nachmittag geflüstert" & die neue Sicht auf Heinrich Heines "Altes Lied", verschieben sich dadurch ebenfalls... wahre Poesie die dem o.g. Buchautor noch nicht zum Selbstverständnis geworden ist. Doch Kammer Sieben wären nicht sie selbst, wenn da nicht auch noch ein bisschen Ostpreußen nebst Blut & Ehre mit swingt. "Ihr" bedient dies angemessen mit einer Ballade der neo-romantischen "Mutter Ostpreußen" Agnes Miegel. Agnes wer? Für manche ist diese Literatin die größte anzunehmende Bedrohung ideologiefreier Kultur nach Leni Riefenstahl. Wobei erstere in ihren Huldigungsgedichten an den (ja auch im Zuge eines Freitods verblichenen ;-) Führer weitaus deutlicher & emotionaler war. Erinnerungskultur. Kultur hat zumeist auch einen Standortfaktor & bei Erinnerungen gibt es die zwei Seiten einer Medaille. Mir bleibt gerade deshalb unverständlich, wie sich dieses Buch - mit dem hehren Anspruch: Wider dem Vergessen & Pro dem Gedenken an alle welche ohne namentlich benannten Ehrenplatz sind - mit den jüngsten Auseinandersetzungen um das Andenken an Agnes Miegel verträgt. Schulen & Straßen die ihren Namen trugen werden aus Scham oder Druck der Öffentlichkeit umbenannt. Die Agnes-Miegel-Gedenktage, just vor ein paar Tagen in Bad Nenndorf bei Hannover, wurden begleitet von Aufmärschen & Protesten. Diese gipfelten in der äußerst plakativen Verhüllung ihres Denkmals! "Haha. Das hätten Sie nicht gedacht, meine Damen und Herren, wie?"... "D(ies)er letzte große Witz" betitelt zumindest nun das aktuelle Bühnenprogramm von Thomas Sabottka. Wer ihn dabei erleben will, hat am 29. März in Karlsruhe & am 06. April in Zürich die Gelegenheit dazu... ich hingegen schwelge daheim in meinen eigenen Erinnerungen & vergebe noch ein paar Bonuspunkte für die Fotos, sowie jenes doch sehr handliche 16x16 Buch-Format.