The Psy - Tinnitus

The Psy - Tinnitus

Eine weitere Veröffentlichung des kleinen, aber ambitionierten 'fast-fertig' Labels Mescalinum Music Research trägt den prägnanten Titel "Tinnitus" und stammt von keinem Geringeren als dem Künstler The Psy. Das Experimental/Ambient-Industrial Album wurde bereits im Jahr 2003 veröffentlicht, genauso wie das zuvor rezensierte Rhythm-Trip-Release "A Trip To The Black Area". Doch während sich jenes Album mehr mit rhythmischen und dunklen Klanglandschaften beschäftigte, ist der Entstehungshintergrund von "Tinnitus" von einer deutlich persönlicheren und düsteren Note geprägt: Der Künstler The Psy erkrankte im Jahr 1998 selbst an einem Tinnitus, jener hartnäckigen und oft quälenden Wahrnehmung eines konstanten Ohrgeräuschs.

Das Besondere an dieser Veröffentlichung liegt nicht nur in ihrer thematischen Tiefe, sondern auch in der Herangehensweise des Künstlers. Da es bis heute keine endgültige oder umfassende Erklärung dafür gibt, was ein Tinnitus eigentlich ist und wie er sich genau definiert, machte sich The Psy daran, seine eigenen Erfahrungen mit diesem Phänomen künstlerisch einzufangen. Dabei widmet er sich zwei fundamentalen Fragen, die nicht nur den Tinnitus selbst betreffen, sondern auch die menschliche Wahrnehmung von Klang und Stille im Allgemeinen: Was ist Sound? Was ist Stille?

Die Antwort auf diese existenziellen Fragen liefert The Psy in Form von 18 Tracks, die zusammengenommen eine Gesamtspielzeit von etwas über einer Stunde ergeben. Doch Vorsicht: Dies ist keine leichte Kost. Die klare Empfehlung für dieses Album lautet daher: Kopfhörer sind dringend empfohlen! Nur so kann man die tiefgründigen und oft verstörenden Klangwelten in ihrer vollen Intensität erleben – oder besser gesagt, überleben.

Die Klanglandschaften auf "Tinnitus" sind alles andere als gemütlich oder entspannend. Erwartet man hier sanfte Ambient-Melodien, wird man schnell eines Besseren belehrt. Stattdessen entführt das Album in ein Universum aus verschiedenartigen Noise-Effekten, spärlich eingesetzten Melodien und dröhnenden Beats, die sich zu schweren, paranoiden und stechenden Soundcollagen verdichten. Besonders auffällig sind die hellen, manchmal schneidenden und fast schon sadistisch wirkenden Geräuschwellen, die sich wie messerscharfe Druckwellen in die Gehörgänge bohren.

Die Dramaturgie des Albums ist ebenso unvorhersehbar wie eindringlich: Ruhige Passagen, die den Hörer in trügerischer Sicherheit wiegen, werden plötzlich durch ruckartige, wuchtige und bösartige Soundattacken zerrissen. So passiert es nicht selten, dass man regelrecht aus einer scheinbar entspannten Atmosphäre herauskatapultiert wird – und zwar mit einer solchen Vehemenz, dass man unwillkürlich zusammenzuckt.

Ein Paradebeispiel für diese quälende Intensität ist der Track "Hyperacusis", der mit seinen 2 Minuten und 19 Sekunden für empfindliche Ohren kaum zu ertragen ist. Die stechenden, bohrenden Geräusche verlangen dem Hörer alles ab und schaffen eine fast schon körperliche Belastung. Selbst der Rezensent musste hier kapitulieren: Meine Ohren hielten das nicht aus. Wer ohnehin empfindlich auf schrille oder druckartige Klänge reagiert, sollte diese Passage nicht auf Teufel komm raus austesten – die Folgen könnten unangenehm sein.

Doch das Album bietet auch Momente der Erholung und Reflexion. Nach dieser akustischen Tortur gönnt uns The Psy 5 Minuten Stille, die wie ein heilender Balsam wirken können. Den Abschluss bildet schließlich ein beeindruckender, elfminütiger Track, der nicht nur musikalisch interessant, sondern auch angenehm ausbalanciert ist – fast wie eine Versöhnung mit dem Hörer.

Für Fans des Experimental- und Ambient-Industrial-Genres ist "Tinnitus" ein Werk, das mit Sicherheit einen bleibenden Eindruck hinterlassen wird. Es ist kein Album, das man nebenbei hören kann – vielmehr ist es ein Erlebnis, eine Herausforderung und eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Grenzen der auditiven Wahrnehmung. Wer sich darauf einlässt, wird belohnt – und vielleicht ein wenig verstört zurückbleiben.

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