Es ist eigentlich eine Schande, dass erst die vierte (CD)Veröffentlichung der Bostoner Punk-Cabarettisten Amanda Palmer und Brian Viglione beim Medienkonverter Beachtung findet, aber besser spät als nie. Seit dem Live-Debut „A is for accident“ im Jahre 2004 machen die beiden Musiker eigentlich nichts falsch. Das Debut war noch etwas zurückhaltend und anstrengend zugleich, der Sound war noch etwas mau und vor allem konnte man sich im fernen Deutschland nicht im Mindesten vorstellen, was da in Boston entstanden war. Die selbstbetitelte zweite CD brachte den internationalen Durchbruch (wird auch meist als Debut bezeichnet), sorgte für frischen Wind in alten Gruften und zeigte auf eindrucksvolle Weise wie leichtfüßig und schön es sein kann, Teil der Schwarzen Szene zu sein. Bevor ich mich in Lobpreisungen ergehe kommt gleich der Schwenk auf Album Nummer drei. „Yes, Virginia“ erschien vor zwei Jahren, war einerseits poppiger als sein Vorgänger, andererseits und überraschenderweise aber mindestens genauso langlebig und kreativ. Drei geniale Veröffentlichungen, fantastische Live-Konzerte und eine gelungene Live-DVD „In Paradise“ - ich muss zugeben, dass mir sofort ein Kloß im Halse stecken blieb als ich hörte, dass das neueste Produkt eine Sammlung von älteren Demos, einem Cover und fünf vermeintlich neuen Stücken sein soll. Sofort schlägt die „Ausverkauf und Geldmacherei“Alarmsirene an und man befürchtet das Schlimmste....und glücklicherweise kann ich am Ende einer intensiven Hörphase sagen, dass das Endprodukt wieder einen sorglosen Kauf wert ist. Ob man dem ganzen nicht doch einen faden Geldmacherei-Beigeschmack unterstellen kann soll jeder für sich selbst entscheiden. Insgeheim bin ich mir sicher, dass es ein klein wenig so ist, aber verdammt soll ich sein : die Dresden Dolls sind dermaßen gut, dass sie wohl aus allem Gold machen können. „No, Virginia“ heißt das Kind, ich habe die Promo in einem nüchternen weißen Pappschuber erhalten auf dem neben dem Band- und Albumnamen nur zu lesen ist : Not final Artwork. Schade eigentlich, denn passender könnte das Cover fast nicht sein – den Hörer erwarten die Dresden Dolls, roh, pur, durch keinerlei Überproduktion oder Gimmicks getrübt. Den Hörer erwarten 11 Stücke Piano (bzw. Keyboard) und Schlagzeug. 11 Stücke voller Emotionen, Abwechslung und Charme. Der Hörer bekommt zu hören, wie die Band live und ehrlich klingen würde: es sind Studioaufnahmen, die schnell und ohne häufige Wiederholungen in kurzer Zeit eingespielt wurden. Gerade einmal fünf Tage haben sich die beiden für die fünf „neuen“ Stücke ins Studio begeben, dann war man fertig. Nicht jeder Schlag ist perfekt, nicht jede Strophe ist perfekt eingesungen worden und alles ist irgendwie geradliniger und weniger verspielt als bisher. „No,Virginia“ sind 11 Stücke, die anders sind als die Album-Dolls bisher, aber alle, die die Band einmal live erlebt haben werden bestätigen : selten klangen die Dolls auf einer Aufnahme so sehr wie sie selbst wie hier. Fast schon unplugged – nur kann man bei einem Zusammenspiel von Piano und Schlagzeug sowieso nur von unplugged sprechen. Also eben „mehr“ unplugged. Zu den einzelnen Liedern : „Dear Jeanny“ macht den Anfang, ist ein neues Lied und stimmt wunderbar in den Reigen ein. Kein sehr eingängiges aber eben doch sehr typisches Lied, Brians Schlagzeugspiel ist einfach unverkennbar, Amanda's Pianospiel einfach wunderbar und der Gesang ist so rauh und charmant, schräg und gefühlvoll wie noch nie. Amanda wechselt die Stimmungen und Lautstärke wie andere den Sender im TV. Zwar sind die Vocals auf „No,Virginia“ eindeutig nicht perfekt aber noch nie haben sie mir so gut gefallen: Einerseits ganz typisch Amanda, doch sie klingt so viel menschlicher und ehrlicher und man merkt, dass es so viel besser zu ihr passt. „Night Reconnaissance“ ist ein weiterer neuer Titel, sehr swingend und erfrischend. Gefällt gut und zeigt, dass die Dolls noch lange am Ende ihrer kreativen Energie sind. „The mouse and the model“ ist scheinbar eine ältere Demo Aufnahme. Wann genau die Aufnahme entstanden ist kann ich, wie bei den anderen nicht sagen, denn die Bandinfo war bei diesem Thema eher mau. Es wird zwar gesagt, dass einige Aufnahmen bei den Sessions zur „Yes,Virginia“ entstanden sind, andere zu einem früheren Zeitpunkt und so weiter, aber welche nun welche ist: ? Macht aber auch nichts, denn egal wann das Lied entstanden ist – es ist einfach wunderbar. „Ultima Esperanza“ wird in der Beschreibung als neues Lied aufgeführt – das ist so nicht ganz richtig, denn live wurde der Song schon des öfteren zum Besten gegeben. Eigentlich ein sehr trauriger und getragener Song, doch durch Brian's fantastisches Schlagzeugspiel gewinnt die Geschichte unglaublich an Fahrt und reißt den Hörer mit. Wieder ein tolles Lied, die Dolls können wahrscheinlich alles – nur keine schlechten Lieder machen. „The Gardener“, mein persöhnlicher Favorit auf dem Album, ist ist eine düstere Geschichte eines Gärtners in Zeiten des Klimawandels. Der Spannungsaufbau ist enorm, der Einsatz des Basses trägt zur düsteren Stimmung bei. Das folgende „lonesome organist rapes page-turner“ ist der schnellste Song des Albums, im Stile von „Bad habbit“ oder „Girl anachronism“ und geht sehr gut rein. „Sorry bunch“ könnte glatt von der „Yes, Virginia“ stammen, schlägt in die selber Kerbe wie die dort vertretenen Songs und klingt sehr entspannt. „Pretty in pink“ ist das fantastische Cover der 80er Waves The Psychadelic Furs – zusätzlich zur gewohnten Instrumentierung befinden sich hier auch ein Akkordeon und eine (Hammond?)Orgel im Einsatz, Amandas Stimme kommt ohne die sonst typischen Schwankungen aus und irgendwie entsteht sogar etwas 70er Flair dabei (Auch wenn das Orginal aus den 80ern stammt erinnert mich diese Version mehr an Blumenkindermusik). Ganz großes Kino – unbedingt mal reinhören. Das folgende „The Kill“ und das ruhig beginnende „The sheep song“ reihen sich nahtlos in die Reihe der wunderbaren Lieder dieser CD ein. Einzig der Abschlusssong kann zumindest mich nicht wirklich überzeugen, denn es geht inhaltlich über die Liebe zur Überlänge und gerade diese stört mich am Song – dafür passiert einfach zu wenig. Tja, schwierig schwierig, diese CD zu bewerten – wahrscheinlich werden nicht alle den recht rohen Sound dieser Scheibe mögen und einer Zusammenstellung von älteren Aufnahmen kann ich einfach keine so gute Bewertung mitgeben wie einem eigenständigen Album mit neuen Lieder, deswegen sollten die 4,5 Punkte für Dresden Dolls Verhältniss als eher schlecht aufzunehmen sein. Jedem Menschen, der sich noch nicht mit den Dolls befasst hat und auch mal Spaß an experimentierfreudiger und eben nicht unbedingt böser/trauriger/typischer Musik rate ich dazu, sich zunächst auf Album 2 und 3 („Dresden Dolls“ und „Yes, Virginia“) zu stürzen und diese Probe zu hören. Für alle, die sich bisher nicht für die Dolls erwärmen konnten, wird sich die Erde ganz normal weiterdrehen. Alle, die die CDs der Band bisher sehr mochten sollten sich auf jeden Fall auch die „No, Virginia“ zulegen – und diejenigen, die dann noch ein Konzert erleben durften werden „No, Virginia“ definitiv in ihr Herz schließen. Da die Homepage der Band zwar wunderschön aber nicht auf dem neuesten Stand ist, ist der zweite Link neben der myspace Präsenz ein wunderbar vergnügliches Video über die Entstehung der "No, Virgina".