Das ist ein Vergleich, den man sich gerne ans Revers heftet: Ashton Nyte, kreativer Kopf von The Awakening, wird als "David Bowie aus Johannesburg" bezeichnet. Zum einen, weil Nyte selbst, neben Kate Bush, das legendäre Pop-Alien als größten Einfluss nennt, zum anderen, weil auch er gerne variantenreiche Musik schreibt und seine Konzerte mit theatralen Einlagen aufhübscht. Er muss auf jenden Fall einiges richtig gemacht haben, sonst würde er mit seinem Projekt The Awakening nicht schon seit mehr als 30 Jahren erfolgreich unterwegs sein. Dass er das mittlerweile zwölfte Album selbstbetitelt, könnte jedoch der Hinweis darauf sein, dass sich der Mann aus Port-Elizabeth anscheinend stärker als sonst mit seinem Material definieren kann.
Wem die faszinierende Erscheinung mit den hohen Wangenknochen und den großen Augen (der damit eine ähnliche Ausstrahlung wie der junge Peter Murphy von Bauhaus besitzt) bislang noch nicht begegnet ist, hat daher einiges aufzuholen. Denn Ashton ist ein Wanderer zwischen den Klangwelten. Angefangen mit einem Dunkelrock mit sehr smoothen New Romantic Touch, erarbeitete er sich im Laufe der Jahre einen Sound, den Nyte selbst als "Dark Future Rock" betitelt. Zwischen Dark Wave, Industrial und Gothic Rock pendelte das Projekt hin und her, ohne dabei jemals orientierungslos und zerfahren zu klingen. Doch die geballte Konzentration an guten Stücken auf "The Awakening" ist mehr als nur bemerkenswert.
Mit einer tiefen, sanften Stimme, die sich ganz unbemerkt unter die Haut einnistet und von dort aus zu wirken beginnt, rezitiert Ashton Nyte in bester Schwermut seine symbolisch überladenen Texte. Stilistisch nah bei The Mission zu verorten, packt The Awakening die große Gothic-Rock-Kiste aus. Jede Nummer ist gleichzeitig Reminiszenz an die Granden dieser Spielart, aber auch durchzogen von einer typischen Handschrift Nytes.
Seine langjährige Erfahrung kommt ihm dabei sicherlich zu Gute, um den Nummern an den richtigen Stellen den entscheidenden Dreh zu verpassen. So besticht "Cabaret" mit einem schmachtenden Refrain, den ein Ville Valo (HIM) nicht besser hätte vortragen können. Und auch "Mirror Midnight" (in weiser Voraussicht vorab als Single veröffentlicht, um den Fans den Mund wässrig zu machen) wurde von Nyte detailliert ausgearbeitet und kommt ebenfalls mit einer süchtig machenden Hookline und einem ästhetisch sehr ansprechenden Video daher. Wie gesagt: "The Awakening" ist eine vom Kopf her gedachte Platte, bei der keine Note dem Zufall überlassen wurde. Selbst eine Ballade wie "Your Vampire" setzt die Akustik-Gitarre mit chirurgischer Präzision ein, sodass die erotische Grundstimmung des Stücks nicht verfehlt wird.
Natürlich kann "The Awakening"s größte Stärke auch als größter Angriffspunkt genutzt werden. Das Album ist alles andere als innovativ. Die rollenden Bässe, ein straighter Beat und breitwandige Gitarren, allesamt kulminierend vereint auf "Haunting", werden Kritiker als zu rückwärtsgewand und inspirationslos abstempeln. Aber nach wie vor gilt die Devise: "Lieber gut geklaut, als schlecht selbst gemacht". Was nützen bahnbrechende Ideen, wenn diese nicht nachvollziehbar für die Hörerschaft sind? Deswegen funktioniert "The Awakening" auch so gut: Bei dem gebürtigen Südafrikaner geht es nicht um Aussehen oder Attitüde, nicht um Effekthascherei oder Anbiederung an moderne Hörgewohnheiten, sondern einzig und allein um den Song an sich. Womöglich sitzt David Bowie gerade milde lächelnd auf einer Wolke, blickt auf The Awakening herab und denkt: "Well done, Ashton!".