Mit "Alien Nation" legen die beiden Italiener Andylab und Voyager von Syrian ihr drittes und bislang experimentellstes Album vor. Waren die Vorgänger "Kosmonauta" und "De-Synchronized" noch rein elektronisch, sehr danceorientiert und fast ein wenig zu glatt produziert, verlangt das Duo mit dem Faible für Sciene-Fiction- Themen mit seinem neuesten output nun einiges an Toleranz und Aufgeschlossenheit von seinen Fans und Hörern. Denn im Kosmos von Syrian ist es nicht nur ein wenig düsterer als bisher gewohnt geworden, "Alien Nation" überrascht vor allem mit dem mutigen Einsatz von harten, rockigen E-Gitarren, die unter so manchen eingefleischten Elektronikern womöglich für Unmut sorgen oder zumindest auf Unverständnis stoßen werden. Die Vielfalt an Stilen, mit der Andylab und Voyager auf "Alien Nation" arbeiten, macht es schier unmöglich, das Album bereits nach dem ersten Durchhören vollständig zu erfassen und eine aussagekräftige Bewertung zu formulieren. Auch legen die gerade einmal zehn Tracks eine solche Geschwindigkeit vor, dass man das Gefühl bekommt, in einer Rakete zu sitzen, die – gerade abgehoben – auch schon wieder zur Landung ansetzt. Den Start mit dem Track "Supernova" als geglückt zu bezeichnen, grenzt fast an Untertreibung. Von Sebastian R. Komor (Icon of Coil, Zombie Girl, Monofader u. a.) produziert und von Alphaville-Sänger Marian Gold stimmlich unterstützt, wird der extrem poppig arrangierte Dancefloor-Smasher zu einem fulminanten Album-Auftakt. Unwiderstehlich bohrt sich die einfache, aber fast schon hymnenartige Melodie des Songs ins Ohr, charakteristischer Mitsing-Refrain inklusive. Sehr schade, dass nun offenbar doch nicht geplant ist, dieses Stück als Single auszukoppeln. Das Potenzial dafür hätte er auf jeden Fall! Die etwas zurückgeschraubte Radio Version am Ende des Albums steuerte übrigens niemand geringerer als der italienische Trance-Produzent Alex Bartlett bei. Eben noch Meilen über der Erde im Dance-Kosmos unterwegs, wirkt der Titeltrack überraschend erdig. Eine rockige, fast schon aufdringliche E-Gitarre, gepaart mit einem Rhythmus und Charakter, wie ihn seinerzeit Depeche Mode auf dem Ausnahme Album "Ultra" pflegten, prägt das Klangbild dieses gewöhnungsbedürftigen Songs. Bei "Musika Atomika" werden manche wohl ihren Ohren nicht trauen – hören wir hier gleich einen x-ten Remix von "Personal Jesus"? Möglich wäre es zumindest. Der erste Eindruck ist aber schnell zerstreut, lässt einen jedoch nicht mehr ganz los. "Musika Atomika" überzeugt als starker, minimalistisch konzipierter und leicht retro-angehauchter Electro Track mit einer synthetisch verfremdeten Stimme, wie wir sie noch aus Kraftwerk-Tagen kennen. "Orion shall rise" hingegen schlägt in eine völlig andere Kerbe: Harter, düsterer und aggressiver Dark-Electro, der bei Suicide Commando-, Hocico- oder Tactical Sekt-Fans gut aufgenommen werden dürfte. Mit "Solarchaser" schwenken Syrian wieder in softere, melodischere Synth-Pop-Gefilde, die einem warm ums Herz werden lassen. Auch hier kommt die E-Gitarre zum Einsatz, mal heftig rockend – ein bisschen weniger Hardrock-Attitüde wäre hier vielleicht nicht verkehrt gewesen – mal sanft und verträumt, wie man sie auch von etlichen Dream-Dance und Trance-Produktionen kennt. Stimmungsvolles Ethno Flair beschwört "Helium" herauf, das gesanglich und in seinen Anfängen ein wenig an den Sound der Mystik-Electro-Rocker Down-Below erinnert. Der harte, extrem griffige Beat und Rhythmus, die exotische Instrumentierung und der spirituelle weibliche Mystik-Gesang lassen einiges erhoffen. Doch die Freude währt nicht lange: Nach nur eineinhalb Minuten ereilt den Song der Tod durch Techno. Das an Scooter oder billige Rave-Compilations erinnernde Geplänkel nimmt dem Titel jegliche zuvor aufgebaute Spannung und Faszination. Ein gezielter Ausbau der Tribal-Instrumentierung und des Gesangs sowie eine sanfte Untermalung durch warme Synth-Flächen hätten den Song vielleicht zu einem der besten des Albums gemacht … Spätestens beim siebten Stück, "Hybercube", steht nun fest, dass "Alien Nation" eine ziemliche Achterbahnfahrt der Gefühle heraufbeschwört. Mit diesem Song zaubert das Duo wieder einen entspannenden Dreamdance-Track aus dem Hut und wagt dabei neuerlich ein waghalsiges Experiment. So wird der im mid-tempo gehaltene Titel teilweise von einer epischen E-Gitarre begleitet, die ihm eine einzigartige Note verleiht – hier haben Syrian wahrlich einen Drahtseilakt vollbracht, der geglückt ist! Doch jetzt ist irgendwo der Wurm drin: Das folgende Stück, – wiederum Techno pur –, das mit einem Ausflug in bombastische, hymnenartige Sphären und Choral-Einsprengseln aufwartet und auf der Tracklist als "Destiny Sunrise" angekündigt ist, empfängt uns mit einem futuristischen "Welcome to the Hybercube". Kurzzeitige Verwirrung: Vielleicht wurden beim Brennen des Promo-Rohlings auch nur die beiden Titel vertauscht? Ärgerlich, aber kein Beinbruch, so lange es auf den für den Handel bestimmten Exemplaren stimmt! Rein vom Klangbild würde der Titel "Destiny Sunrise" sowieso viel besser zu Song 7 (auf meinem Rezensions-Exemplar) passen. Bei Track 9 ist wieder alles im Lot und das Herz macht einen Sprung, als es Endanger vernimmt. "Speed of light" ist ein ungewöhnlicher, so gar nicht nach Schema F konstruierter Synth-Pop-Song mit sägenden Gitarren, der das Album noch um Facette mehr bereichert. Nach vielen, intensiven Hördurchläufen offenbart sich "Alien Nation" als extrem individuelles Werk, das keine Berührungsängste vor der Verschmelzung von Stilen zeigt. Folglich verlangt es ein ordentliches Maß an Offenheit und Zeit, um sich an den Charakter jeden Titels herantasten zu können. Dennoch kann man sich auch nicht des Gefühls erwehren, dass hier ein Damoklesschwert der scheinbaren Unentschlossenheit über Syrian schwebt – gespielt wird hier an allen Fronten und mit allen Mitteln. Das Album wird es ein wenig schwer haben, als Ganzes zu überzeugen. Die mitreißende, partytaugliche Grundstimmung und "Supernova (feat. Marian Gold)" dürften die Entscheidungsfindung allerdings ein wenig (oder vielleicht doch wesentlich?) erleichtern.