Da ist sie ja, die St. Michael Front. Ihr Zweitwerk, vollmundig angekündigt im Labeltext, muss was ganz Großes sein. Sie scheren sich nicht um Genre-Zuschreibungen, sie wagen auch einmal den Schritt in Richtung Kitsch, kurz: Sie machen ihr Ding. Dürfen sie auch gerne, aber nach 36 Minuten attestiere ich das Gleiche, wie nach dem Auftritt beim letztjährigen Prophecy Fest: Bitte ohne mich. Dabei müsste doch alles passen. Enthusiastisch und hingebungsvoll dargebotener Folk, Texte mit Tiefgang und (ich mag es ja sehr) meterdicke Schichten Keyboardkleister. Und ich kann auch die Selbstdarstellung und Zuschreibungen durch das Label geflissentlich ignorieren, das Selbstbewusstsein ist beeindruckend, aber nur bedingt angebracht.
Die Musik auf ‚Schuld & Sühne‘ ist in meinen Ohren so deutlich an den Neo Folk Größen der 90er angelehnt, dass Texte, die davon zeugen, dass sich die Band nicht um Genregrenzen scheren, irritieren. Wir haben die omnipräsente Klampfe, die angesprochenen Konserven-Orchester und Pauken und Trommeln, bis die Epik die Brust bersten lässt. Die Texte sind schwülstig, empowerned, manchmal augenzwinkernd nett und gehen vollkommen in Ordnung – aber der Neo folk, gerade auf Deutsch vorgetragen, war schon immer hart an der Grenze zum pathosgeladenen Schlager. Und passenderweise ist der Gesang ganz nah an den Originalen und damit eher schwach auf der Brust und ab und an neben der Spur. Erhöht die natürliche Kraft und wirkt authentischer. ‚Schuld & Sühne‘ ist eines von vielen Alben aus dem Bereich – ich kann es nicht zerreißen und will positiverweise anmerken, dass es nicht deutschtümmelnd daherkommt, wie so viele Vertreter des Genres. Auch sind manche Melodie-Ideen sehr nett: "Knochen & blut", "Ende der Zeit", "1000 Namen" oder "Wie sehen uns wieder" haben ihre Momente, aber sind dann auch wieder sehr sehr ähnlich. Soll das also ausreichen, um eine Kaufempfehlung auszusprechen?
Die Songs kommen allesamt sehr ähnlich daher, auf Albumlänge kommt bei mir trotz der kurzen Spielzeit Langeweile auf und das ewig heraufbeschworen Monumentale geht zumindest mir irgendwann auf dem Senkel. Zu viel Epik, zu viel Dramatik, zu große Bilder werden da textlich konstruiert und ich möchte entgegenrufen: Chillt mal. Zumal, und da kommt der Punkt, an dem ich entschieden habe, dass die St. Michael Front (im Moment) nicht mein Fall ist: Alles, aber auch wirklich alles ist noch auf einem eher Session-artigen, etwas amateurhaften Niveau und will damit so gar nicht zu den Texten passen. Der Auftritt auf dem Prophecy Fest wirkte eher spontan, ‚Lass mal ne Diashow machen und die Hälfte (Keyboards und Drums) aus der Dose schallern lassen.‘, die Produktion auf dem vorliegenden Werk ist alles andere als konsistent, mal ist der Gesang verhallt und laut, dann wieder quasi unverfälscht. Auch verwundert der Gesang an anderer Stelle: Mal ist er ultradramatisch, mit voller Kraft ins Mikro geschallert, dann kommen Stellen wie bei "Keine Helden" und ein "Huuuu" vielleicht Ausdruck davon sein könnte, dass man mitgerissen ist, aber dadurch, dass es nur wie versucht, schmalspurig daherkommt, wirkt es wie fehlt am Platz und nimmt den Ernst. Auch bei den Instrumenten lässt sich festhalten, dass diese zwar nicht so viel hergeben, doch hätte man mehr Akzente bei der Abmischung setzen können, um nicht dauerhaft gleich zu klingen.
Schließlich: Das Coverartwork und das unten verlinkte Video lassen sich in meinen Augen kaum anders als mit „sympathisch, aber hart trashig“ beschreiben. Ich glaube, genau das, was ich an der St. Michael Front nicht mag, ist gewollt. Man will sich gar nicht so viel Mühe geben, die Texte sollen für sich sprechen. Aber auch Musik, die den Minimalismus zelebriert, kann mit mehr Liebe auf Band gepresst werden, wird doch das Produkt am Ende zum Vollpreis vertickt. Ich bin mir sicher, die beiden Herren sich nette Kerle, so wirkte es in jedem Fall auf dem Festgelände und alles erweckt in mir den Anschein, als ob die Band sich bei einem Karaokeabend in einer Bar an der Reeperbahn gründete, als man spontan zusammensang und seitdem weder die Stilmittel, noch die Klamotten getauscht hat. Ich möchte ‚Schuld & Sühne‘ nicht mehr hören müssen.
St. Michael Front – Schuld & Sühne
Auerbach Tonträger / Prophecy Productions / 13.05.2022
https://www.facebook.com/stmichaelfront/
1. Knochen und Blut
2. Ende der Zeit
3. So weit nach draußen
4. 1000 Namen
5. Dunkelheit
6. Schwarzer Engel
7. Niemand
8. Keine Helden
9. Wir sehen uns wieder