Wenn ich mal wieder extrem gute Laune habe, lasse ich mich in ein Gespräch mit Freunden gepflegter Rockmusik verwickeln, denen ich dann stundenlang begründen darf, was denn an „seelenloser Computermusik“ so liebenswert sei. Laut weit verbreiteter Ansicht gibt es nämlich auf der einen Seite die „ehrliche, handgemachte Musik“ und auf der anderen Seite „Klangerzeugung aus Strom“, für jene Leute, die früher lieber Fußball gespielt und auf das Erlernen eines „richtigen Instrumentes“ verzichteten. Warum nur diese polemische Einleitung? Nun, falls ich in besagten Debatten mal wieder ein Musterbeispiel für die Vereinbarkeit beider Standpunkte benötige, hilft das Duo „Spreading Point“ ungemein. Denn was "Tischtennisstar" Olaf Himmelmann und Sandro Ringeling seit Jahren produzieren, darf als Inbegriff „handgemachter elektronischer Musik“ gelten. „Handgemacht“, weil weitgehend auf teils stupide 4/4 Future-Pop Beats verzichtet wird, die als Klangteppich 45 Minuten lang die komplette CD unterlegen könnten und weil man wirklich viel Liebe in die Komposition der einzelnen Songs steckt, was sich in überraschenden Wendungen innerhalb eines Tracks bemerkbar macht: Plötzlich kommen neue Soundeffekte hinzu, Spuren verlieren sich und machen den Weg frei für kreatives, manuell erstelltes Drumprogramming. Das mag jetzt arg theoretisch erscheinen und in musikalischer Fachsprache bestimmt nicht ganz korrekt formuliert sein, doch versuchen wir diese Einschätzung mal ganz konkret auf das just erschienene „Mini-Album“ „Momentum - Part I“ zu übertragen. Los geht der muntere Reigen mit „Shining Star“, das zunächst instrumental-verspielt beginnt und einen betont gemächlichen Spannungsaufbau bietet. Der scheinende Stern geht im wahrsten Sinne des Wortes langsam auf und mutiert später zu einer groovenden Gute-Laune-Nummer, die auch die Sonne im Herzen aufgehen lässt. Die insgesamt fünf neuen Lieder finden auf der CD ihren jeweiligen Gegenpart in einer Remixversion, so dass die aktuelle Spreading Point- Veröffentlichung unter dem Strich starke 10 Tracks schwer ist. Peter Rainman, alias "People Theatre" hat sich des Openers angenommen, verstärkt die lebensbejahende Komponente der Melodie, indem er wie gewohnt flotte Synth-Akkordwechsel beimengt und auf diese Weise einen durchweg tanzbaren, modernen Mix aus dem Hut zaubert. „One More Time“ hat für mich eine ganz eigene Geschichte. Im ersten Durchlauf dudelte das Ganze recht emotionslos an mir vorbei, während der zweiten Runde setzte sich immerhin die gesanglich gebotene Vielfalt und die damit einhergehende atmosphärische Achterbahnfahrt im Gehörgang fest. Doch erst das bewusste Lauschen unter Kopfhörern offenbarte die ganze Klasse des Songs. „One More Time“ galt folglich als Motto der kommenden Stunden - der „Repeat“-Button kam zu ungeahnten Ehren. Kein Hit auf das erste Hinhören, aber ein echter „Grower“, wie Musikjournalisten zu schreiben pflegen. Den dazugehörigen Remix steuern die Norweger von „Supercraft“ bei und reißen das Steuer in Richtung Future-Pop um. Hier erging es mir genau entgegengesetzt, spontanes Mitwippen war angesagt und verursachte nach 4 Minuten Krämpfe im Wadenmuskelbereich. „In Das Licht“ richtet den Fokus primär auf Eingängigkeit und dürfte in ungemixter Form als Ohrwurm der Platte gelten. Im Gegensatz zu seinen vier Begleitern wirkt die Songstruktur weniger komplex, allerdings reichen bereits die vermeintlich simplen, glockenartigen Keyboardsounds im Refrain aus, um eine äußerst harmonische Grundstimmung zu verbreiten. Schön auch der innere Widerspruch zwischen den Lyrics, die einerseits Verzweiflung, bzw. Ratlosigkeit ausdrücken, andererseits aber auch jene Hoffnung auf Rettung zur Sprache bringen, der mit den „optimistischen“ Melodien bereits auditiv entsprochen wird. Sehr interessant! Der Remix kommt von Jens Plögers „Dynamic Masters“, die zwar nicht grundlegend neue Facetten aufzeigen können, den Song aber radiotauglicher machen, obgleich er wohl (leider) nie im glattgebügelten Formatradio gespielt werden wird. „Locked Groove“ ist ein Instrumental mit eingespielten Sprachsamples. Ich muss zugeben, dass für mich Vocals einfach dazugehören und sich meine Freude über deren Fehlen arg in Grenzen hält. Allerdings ist dieses knapp dreiminütige Stück keinesfalls als reines Füllmaterial zu sehen, vor allem wenn man sich vergegenwärtigt, wie diese nicht ganz einfache Mixtur aus Samples, getragenen Drums, Flächen und brüchigen Melodiebögen im Remix von „United And Identified“ brutal zerstört wird. Das mag man mögen oder nicht, aber die unterschiedliche Rezeption der einzelnen Songs zeigt sich u.a. auch in der Entscheidung des eigenwilligen kanadischen Moderators „DJ Todd“, ausgerechnet den erwähnten Remix als Beitrag für seine weltweit gehörte wöchentliche Podcast-Show „Real Synthetic Audio“ auszuwählen. Schließen wir „after all“ diese Rezension mit „After All“ ab. Gelungener als dieses recht plumpe Wortspiel sind definitiv die Worte, mit denen Sänger Olaf Himmelmann das lyrische Highlight des Albums setzt. „We are not perfect…, we are no machines…,we're human after all“ - einen pointierteren Blick auf die Irrungen und Wirrungen der aktuellen technischen und dennoch sozialen Herausforderungen der Menschheit kann es kaum geben. Und auch für dieses synthetische Kleinod, das fast schon an Singer-Songwriter-Traditionen anknüpft, gilt: Gute Kopfhörer oder eine entsprechende HiFi-Anlage holen aus dem vielschichtigen Album das Meiste heraus. „WANT/ed“ zeigen mit ihrem Remix, was der stark boomende osteuropäische Synthpopmarkt momentan zu bieten hat, wobei der vergleichsweise unspektakuläre Mix die Sehnsucht nach einem neuen Album der mittlerweile zum Duo geschrumpften russischen Band nicht unbedingt wachsen lässt. „Wachsen“ sollte „Momentum - Part I“ auch im Ohr der Synthpopgemeinde, die sich nichts aus den einleitend diskutierten Vorurteilen macht und stolz zu ihren musikalischen Vorlieben steht. Macht bitte nicht den Fehler und beurteilt das Album als schnelllebige „Momentaufnahme“, sondern gebt ihm Zeit. Komplexität erfordert intelligentes Hinhören - und das können wir, oder?