Ich liebe liebe liebe die Musik von Anna Varney. Punkt.
Da bin ich unverbesserlich, da bleibe ich stark, da gebe ich Herz und Geld. Und was habe ich Geld ausgegeben für all die Sondereditionen und Boxen. Und sie waren zum Teil wunderschön und haben bei uns im Haus eine eigene Vitrine. Aber ich muss ein Aber benennen. Denn seit mir ‚Mitternacht‘ 2014 zuletzt Tränen der Rührung in die Augen trieb wurde ich auf eine harte Probe gestellt. Es folgten zunächst zwei Alben, die nicht über ein „enttäuschend schwach“ kamen (‚The spiral sacrifice‘ und ‚Death and flamingos‘), eine solide, aber immerhin hübsch verpackte Platte (‚Island oft he dead‘) und mit ‚Todesschlaf‘ die absolute Geldschneiderei: Eine EP(?) zum Album-Vollpreis ohne Inhalt und Ausstattung. Wow. Bei diesen Rückschlägen fiel es mir als Fan schwer, stark zu bleiben. Selbst alte Veröffentlichungen sah ich nun mit einer gewissen Traurigkeit an, denn was war aus Sopor Aeternus geworden…? (Klingt vielleicht sehr dramatisch, aber als Herzblut-Musikliebhaber geht mit so was ähnlich nah, wie anderen Fussballergebnisse) Und nun kündigte sich ‚Alone at SAM’s – An evening with…‘ sowie die EP ‚The colours‘ an und ich war so unentschlossen wie noch nie, ob und in welcher Form ich beide Werke erstehe. Ich werde in dieser Kritik insbesondere das Album beleuchten und kurz auf die EP eingehen.
Kommen wir gleich zu meinem größten Kritikpunkt: Ich habe mich wider besseren Wissens für die Boxen entschieden und erhielt für 99 Euronen eine hübsche, quadratische Pappbox, eine große CD-Verpackung aus Pappe, ein auf die Texte reduziertes Booklet (wohlgemerkt, die CD-Hülle hat keinen Einschub, man legt das Booklet einfach rein, oder lässt es), eine Grußkarte von Anna-Varney und ein Button. Die EP für nur 49 Euronen kann mit einer CD Verpackung, vier nichtssagenden „Postkarten“ und vier Buttons aufwarten. Die „Übersichtlichkeit“ des Produktes zeigt sich alleine schon daran, dass ich die EP in der Box des Album reingelegt erhielt – war ja noch genug Platz drin. Ich habe nichts gegen erhöhte Preise, wenn das Produkt stimmt, aber das ist schon harte Geldschinderei. Ich muss ehrlich sein: empfehlen würde ich die beiden inhaltlich sehr guten Produkte in der günstigsten Version, weil das ist wirklich nichts. ‚Island oft he dead‘ konnte wenigstens mit dem verkleckerten Wachs an alte Boxen erinnern, aber ich erinnere an Wachssiegel, Grabschleifen, Kondome, Bücher, Poster…. In meinen Augen war der Wechsel zu Fantotal keine gute Entscheidung und ich würde lieber Anna-Varney mein Geld direkt überweisen und ihr für die Musik danken, als bei diesem Service, den ich mit jeder Begegnung unangenehmer empfinde, zu klicken, aber okay.
So, das war es mit kritischen Worten, denn, und ich freue mich wirklich wirklich sehr, nach zwei Absätzen der Enttäuschung Folgendes zu schreiben, Sopor Aeternus sind wieder da und das Album ist einfach nur schön. Ich hatte wirklich keine Vorstellung und um so mehr Bedenken, als ich Thema und Optik sah, aber dieses Album rund um düsteres Spielen und die Verbindung zur eigenen Psyche, bietet (fast) alles, was ich mir als langjähriger Fan wünschen kann: Da haben wir diese absolut unvergleichliche Melange aus (Kammer)orchestrierung (Streicher, Cembalo, Trompeten), angenehmes Drumming, Basslinien, die Anna-Varneys Liebe zu frühem Post Punk zeigen und Elektronik, bestehend aus typischen Wave Sounds und Theremin. Zusammen ergibt das Sopor Aeternus, wie nur Sopor Aeternus klingen: ungewöhnlicher und uncooler, kitschig-schriller und liebenswerter Kammer-Klassik-Goth-Pop-Wave? Oder so? Egal, genial. Und die Glockenschläge sind wieder da für etwas Dramatik. Und Anna-Varney flüstert, lockt, singt, schreit und jammert unnachahmlich, wunderschön und bizarr. Ich liebe es und ‚Alone at SAM’s‘ bietet genau diesen Sound auf hohem Niveau, mühevoll und vielschichtig programmiert und, ich freue mich so, dies schreiben zu können, die Lieder sind so richtig gut.
Tatsächlich sind wir wieder beim Sound von ‚A strange thing to say‘ oder ‚Have you seen this ghost‘ angelangt, über 10 Jahre ist es her und auch wenn ich mir damals mehr Mut zu Experimenten wünschte und mit der ‚Poetica‘ reich belohnt wurde, wirkten die Experimente der letzten Jahre eher bemüht und lustlos und ich bin froh, dass Anna-Varney sich erst einmal in bekannten Gewässern austobt. Es gibt keinerlei Ausfälle. Nicht einen. Ich mag die eigentlichen Stücke und die Instrumentals, 73 Minuten pure Freude für mich als Fan. Ich kann vielleicht in einem Jahr sagen, welche Titel es mir besonders angetan haben. Aktuell ist „The Beast“ mit seinem minimalem EBM-artigen Sound ganz vorne dabei, „666“ erinnert mich ein wenig an eines meiner liebsten Stücke „Bis zum Hahnenschrei“. „Nobody home“ ist ein wunderschönes Beispiel dafür, was die Musik von Sopor Aeternus leisten kann und wie sehr man sie aus tausenden heraushören kann, selbst wenn das zentrale Element, die Stimme von Anna-Varney, fehlt. „Counter:Spell“ und „The great annoyance“ sind wundervoll niederschmetternd und den nicht benannten Titeln tue ich eigentlich Unrecht mit der Nicht-Benennung.
Kurz zur EP ‚The colours‘: Die vier Stücke sind auf dem selben hohen Niveau, das man auch auf dem Album vorfindet und Fans des Projektes werden hier nichts falsch machen, außer eine zu teure Version zu bestellen. In meinen Augen wäre diese EP eine tolle Dreingabe beim Kauf der Box gewesen, sozusagen als Geschenk an die beinharten Fans. In der günstigsten Version kostet das eigentliche Album nur 3 Euro mehr und 13 Euronen sind ein strammer Preis für vier Stücke, inhaltlich kann man sich aber als Fan nur freuen, denn diese 20 Minuten alleine sind schon besser, als das Meiste aus den letzten 10 Jahren.
Ich kann noch nicht mutmaßen, wo sich ‚Alone at SAM’s‘ einordnen wird. Ich gestehe auch, dass im Moment noch der Frust über das Preis/Leistungsverhältnis der Verpackung auf meinen Eindruck wirkt und ich erst Inhalt vom Form trennen muss. Ich mag Artwork und vereinzelte Bilder, finde die Idee, ein obskures Spiel zu vertonen und damit doch wieder viel von sich preiszugeben, ausgesprochen charmant und bin überglücklich über die Songs. Zum ersten Mal seit fast 10 Jahren habe ich bei einem Sopor Aeternus Album so richtig Lust, wieder und wieder auf Play zu drücken und mit anderen mein Glück zu teilen und ich sage Danke. Danke Anna-Varney für die Musik. Nicht für die Verkaufsform. Aber die Musik, du bist wieder da und ich spüre endlich wieder all die Mühe, alle den Aufwand, all die Emotionen, die notwendig sind, um diese besondere Musik zu machen.
Sopor Aeternus & the ensemble of shadows – Alone at SAM’s – An evening with…
03.11.2023 / Apocalyptic Vision
- Evening
- Come and play with us
- Alone at Sam’s
- The colours
- Six Six Six
- Nobody home
- The great annoyance
- Dolls and dead things
- Column
- The house of Poe
- Squares of HA!
- The beast
- Vortex
- The spell
- These are the rules
- Counter:Spell
- A brief visit to the house of Poe
- You can always play on your own