Heute haben wir mal wieder einen allseits bekannten Musikus, der neues Material veröffentlicht hat. Es handelt sich um Sven Friedrich. Offenbar reichte Zeraphine dem umtriebigen Ex-Frontmann der Dreadful Shadows nicht mehr aus, um ein gepflegtes Burn-Out zu rechtfertigen. Also gründete er 2007 das elektronisch orientierte Solo-Projekt Solar Fake. Mit diesem bringt er regelmäßig Scheiben heraus und präsentiert diese ausgiebig live. Mittlerweile kann Solar Fake auf ausverkaufte Einzelkonzerte und diverse Festivalauftritte zurückblicken. Seit wenigen Tagen ist nun der 6. Studiooutput "Enjoy Dystopia" im gepflegten Onlinehandel erhältlich (stationär geht ja wegen Corona leider nicht) und wird heute die ein oder andere Runde in meinem Gehörgang drehen.

"At least we'll forget" steigt mit einer prägnanten Synthmelodie ein, die ihn sogleich als perfekten Gig-Opener prädestiniert. Da muss man einfach die Ärmchen hochreißen, egal, was der Publikumsnachbar vom Achselgeruch hält. Passend dazu ist das Tempo gehalten. Ein weiterer Synth trägt dann den melodischen Refrain. Der Gesang ist wunderbar vertraut und heißt mich quasi willkommen. "I despise you" überrascht mich mit einem Drum, das irgendwie disharmonisch zum Synth läuft. Ich wußte erst wohin es geht, als alles zusammengefunden hatte. Zwar ist das ein typisches Stilmittel, aber triggert mich immer wieder. Ein spannungsgeladenes Synthgeflacker im Hintergrund wird von einer starken flächigen Melodie im Refrain abgelöst. Dazu ist ein Klavier, welches die Hauptrolle spielt als roter Faden im Song enthalten. Das ist schöner Synthiepop, so wie ich es mag. Zurückgenommene Sounds eröffnen "This pretty Life". Aber weit gefehlt, hier kommt kein Schnarcher. Im Refrain übernimmt ein distorteter Synth und Sven wird im Gesang aggressiver. Auch dieser Song wird live zünden. "Arrive somewhere" drückt noch einmal auf die Uptempo-Synthiepop-Taste. Warme Synthflächen bilden nur den Boden für ein Meer aus wundervollen Synthie-Flacker-Melodien. Dazu der starke Gesang von Sven. Bei "Es geht dich nichts an!" merkt man, ok, es geht jetzt andersrum. In einem dreckigen Soundbrei planscht eine zynische Synthmelodie. Der deutsche Gesang ist leicht arrogant rotzig und ihm ist es egal, ob das Metrum einer Strophe endet. Das klassische Versmaß wird mal fix umgangen. Jup, das ist ein Titel, den ich von Beginn an liebe. "It`s who you are" ist wieder klar erkennbar Solar Fake, man hat jetzt aber das Gaspedal durchgetreten. Im Zwischenteil von Strophe und Refrain wohnt ein herrlich nostalgischer Synth. "Trying to hard" kommt mir wieder großschnäuzig und schleppend entgegen. Jup, vorsichtig schaut hier ein EBM-Tier um die Ecke. Die Stimme ist aggressiv eingemischt und im Refrain wird mit einem hohen, offenen Synth großes Kino veranstaltet. Ein komplett reduziertes Zwischenstück drückt dann gekonnt ins Songfinale. Hab ich schon erwähnt, dass hier viel livetaugliches Zeug ist? "Implode" schafft anschließend eine Abwechslung. Das passiert mit schön gepitchten Sounds, aus denen die Melodie aufgebaut wurde. Ich finde sehr gut, wie sich die unverzerrte Stimme im Refrain gegen die Zerrsounds zu behaupten weiß. Und ganz am Ende erst fällt mir diese kleine Melodie auf, die es sich in dem ganzen Staub gemütlich gemacht hat. "Just leave it" macht dann den Schritt zurück in ruhigere Gefilde perfekt. Der Song weiß aber mit Synths zu überzeugen, die entfernt an eine Spieldose erinnern. Im Hintergrund erspäht man eine leise, leicht leiernde Melodie. Mit "Wish myself away" entlässt mich Solar Fake dann wieder. Und ja, hier ist sie, die Ballade. In dem pulsierenden Anfang wirkt die Synthmelodie leicht verloren. Wieder sind die distorteten Sounds ein schöner Gegenpart zur klaren Stimme. Im Refrain erhebt sich das Arrangement. In der zweiten Strophe jedoch beruhigt sich dieser Wind wieder. Zum Glück hat man hier der Versuchung widerstanden alles groß aufzublasen und ein bombastisches Finale zu zaubern. So wirkt dieser Titel wie die Versöhnung mit sich selbst. Und er vergeht in einem Fade. Auch das habe ich lange nicht gehört. Sehr feine Sache.

Wer sich jetzt staunend die Augen reibt... Ja, ich mag das Album sehr. Alles hier schreit: SYNTHIEPOP. Aber das ist ja nichts Verwerfliches. Bei Solar Fake geht es mir wie mit der Eisdiele an der Ecke: Man weiß genau, was man bekommt und geht trotzdem, oder gerade deshalb dorthin. Wenn eine Sache derart gut funktioniert wie hier, warum soll man da das Rad neu erfinden? Zwar kann ich, als oller Electro-Nerd nicht die Wut und Aggression im Album spüren, die Solar Fake als Motor für die Komposition gesehen haben wollen. Nun ja, aber wahrscheinlich ist Wut und Aggression für mich auch was vollkommen anderes als für Sven. Was ich aber genauso sehe ist, dass hier ein Album vorliegt, dass mit unheimlich viel Können und Gefühl für die Sache produziert wurde. Dazu kommt noch Svens wirklich tolle Stimme, die es hier schafft unglaublich viele Facetten zu zeigen. Wie man an meinen Worten unschwer erkennen kann, gebe ich eine Kaufempfehlung. Erhältlich ist das Album als Vinyl, CD und digitaler Download. Die streng limitierte Box und die Deluxe-Edition von "Enjoy Dystopia" waren zum Verfassungszeitpunkt der Rezension (6 Tage nach Veröffentlichung) bereits vergriffen. Ehrlich, das wundert mich kein bisschen.

Anspieltipps: This pretty Life, Es geht dich nichts an, Trying to hard, Wish myself away