Chip Calise, seines Zeichens eigentlich Gitarrist aus Amerika hatte keine Lust mehr nur Bands bei ihren Touren live zu unterstützen. Also produzierte er bereits im Jahr 2012 das Album "Vendetta". Nun, neun Jahre später nahm sich das europäische EBM/Industrial/Gothic Label Insane Records der VÖ an und bringt sie in den Vertrieb. Ich horche nun einmal, ob sich die lange Wartezeit tatsächlich gelohnt hat.

Der Titeltrack "Vendetta" mutet zunächst recht schmuck an, mit seinem doch nicht ganz so straighten Drumpart. Die Syntheziser klingen dagegen nicht so aufregend. Dazu gesellen sich dann die Vocals, die standesgemäß durch einen Verzerrer geschickt werden. Der Einstieg ist eher Standardkost. Eine "Vendetta" stelle ich mir dann doch aufregender vor. "Eyes of the Deceiver" macht deutlich, dass die Drums hier eindeutig im Focus liegen. Denn die bilden wirklich eine Abwechslung zum allgemein erhältlichen EBM-Gedöns. Synthiemäßig ist wieder wenig Aufregung zu vermelden. Der eher midtempige Song ist nun auch nicht für die Tanzflächen geeignet, zumal er ziemlich häufig durch Breaks unterbrochen wird. Ziemlich in der Mitte folgt dann auch noch ein totaler Shutdown, der eher wie ein Outro klingt. Dann steigt der Song wieder ein. Hm, also irgendwie ist das seltsam, aber Kunst muss ja nicht immer verständlich sein. Kurz vor dem Ende gibt es dann einen erneuten Beinahestop. Sorry, in einem Song von nicht einmal 5 Minuten sind mir das zu viele Unterbrechungen. Auch bei "Fuck your God" sind wir noch nicht wirklich in den Tanztempeln angekommen, dazu reicht einfach das Tempo nicht aus. Aber zumindest deutet die Bassdrum schon einmal die Richtung. Vorherrschend ist über große Teile eine Art synthetische E-Gitarre, die auf Dauer doch mehr als erträglich an meinen Synapsen zottelt. Wiederum ist hier der Song, in Bezug auf seinen Namen, eher brav. Ein Klavier eröffnet dann "Final Victory". Der Einstieg ist gelungen, und endlich geht auch die BPM-Zahl nach oben.Das Instrumental bedient sich des klassischen EBM-Spektrums. Wobei erneut ein ausuferndes Zwischenstück die Tanzfreude erheblich trübt. Netto bleiben eigentlich nur 60 % beatunterlegte Unterhaltung übrig. Wie der Einstieg, so folgt dann auch der Rauswurf. Richtig in den 90ern sind wir dann mit "Never forgive, Never forget". Der 3-Minüter bewegt sich in allen bekannten Mustern und erinnert an Frontline Assembly zu ihren besten Tagen. Der Gesang kommt auch angemessen wütig rüber. Bis jetzt ist der Titel das Highlight der Scheibe.Und sogleich nimmt man das eben vorgelegte Tempo wieder zurück. Verdammt, das kann doch nicht wahr sein... Eher schleppend stellt sich mir "To die for" vor. Ein nettes Liedchen, erneut mit Klavieruntermalung. Aber zur großen Ballade fehlen dann doch die entscheidenden Ideen. Das Drum plätschert etwas dahin und der Bass wirkt immer wie abgeschnitten. Da hätte die Produktion mehr Fingerspitzengefühl haben können. Eindeutige Synthiepop-Anwallungen beschleichen mich bei "A Past to burn". Der Refrain wirkt aufgrund der Instrumentierung mit 08/15 Synths, ohne jegliche Breite doch ziemlich dünne. Dadurch ist auch das Geschrei am Ende recht kraftlos. Das jetzt einsetzende "Hate" hat den entsprechenden Aufbau für Dramatik. Nur ein Kindersample begleitet die Bassdrum und die Synthies, die auf- und abschwellen. Das kleine, trotzige Kindchen macht seine Arbeit besser als der Künstler selbst und auch musikalisch gefällt mir das Teil. Da haben wir den zweiten Hinhorcher. Direkt am Ende erwartet mich wieder eine Ballade. Diese wird auch endlich annähernd dem Anspruch gerecht. Tiefes Schlagwerk begleitet die fragende Stimme, die fast prophetisch verkündet "In this perfect world i'm obsolete"

"Obsolete" ist ja praktischerweise auch der letzte Track des Albums. Angesichts der Gesamtleistung durchaus beachtenswert. Immerhin 9 Jahre musste die Welt warten, bis "Vendetta" veröffentlicht wurde. Leider muss ich sagen: Das Warten hat sich nicht gelohnt. Irgendwie wirkt die Scheibe komplett aus der Zeit gefallen, was sie technisch betrachtet ja auch ist. Aber selbst vor 9 Jahren gab es wesentlich erbaulichere Veröffentlichungen im EMB-Bereich. Scars are Soulless tut beim Konsumieren beileibe nicht so weh, wie andere Vertreter, die meinen ihre musikalischen Ergüsse unbedingt in den musikalischen Vertrieb bringen zu müssen. Die Musik ist jedoch auch einfach zu austauschbar, als dass hier eine eigene Marke gesetzt wird. Das wäre auch alles zu vernachlässigen, wenn man denn wenigstens beherrschen würde auf die richtigen Knöpfe zu drücken. Aber jeder nicht vollkommen anspruchslose Electrohead erwartet wenigstens eine gute Produktion, Tanzgefühl und Gespür für die Szene. Das beweist man nicht, indem man alle paar Minuten vollkommen sinnlose Pausen in die eh schon recht kurzen Titel einbaut. Und ein Album als EBM-Werk zu bewerben, bei dem gerade mal 30 Prozent des Inhaltes tanzbares Material ausmachen, kann nur in die Hose gehen. Für Noise ist alles zu wenig Noise, für Ambient ist alles zu wenig Ambient für Industrial ist alles zu normgerecht. Wenn man sich "Vendetta doch zu Gemüte führen möchte, kann man das auf Bandcamp tun. Dort gibt es auch die Möglichkeit den digitalen Download und die CD-Version zu erwerben.

Anspieltipps: Never forgive, Never forget, Hate