Hallo! Mal wieder Lust auf ein richtig gutes Neo Folk Album? Eines, das man auch wirklich Neo Folk nennen darf? Nicht innovativ, aber verdammt gut gemacht und mit jeder Menge gelungener Songs, deren Melodien die Spielzeit locker im Schädel überdauern und im Gedächtnis nicht nur als "Irgendwas Nettes mit Akustikgitarre" abgelegt werden? Ich für meinen Teil bin überrascht, aber auch hocherfreut, denn ich benenne 'Le ceneri di Heliodoro' von Rome als genau dieses Album.

Rome? Hatte der Luxemburger Jerome Reuter vor allem mit den ersten drei Alben viel positiven Wind in die angestaubte und oft rückwärts gewandte Riege der Musiker gebracht, so stellte er doch über viele Jahre seine Texte und Motive über die eigentliche Musik und mir fiel es Album um Album schwerer, am Ball zu bleiben. Die Reduktion auf schönen, minimalistischen Folk nahm in meinen Ohren zu sehr Überhand und es finden sich im Repertoire der Band unzählige mehr als ähnlich klingende, unaufgeregte Folksongs, die zwar durch Reuters ungemein schmeichelnde Stimme und die inhaltlichen Qualitäten selten bis nie aufstießen, aber als rein musikalische Produkte eben auch recht schnell vergessen waren. 2019, und 'Le ceneri di Heliodoro' ist bereits das dreizehnte Album des nimmermüden Musikers. Dieses Mal sieht er nicht in die Ferne, beschreibt nicht das Leben im Exil, die Erlebnisse in anderen Teilen der Welt. Europa steht im Mittelpunkt und Reuter will nicht frühere Zeiten glorifizieren und wieder zurückwünschen, sondern thematisiert aktuelles Geschehen und die Frage nach dem, was eben doch über alle Entwicklung hinaus in Europa bestand hat. Die Texte handeln vom Verhältnis zu Amerika, Sinn und Unsinn des Bestehens der Nationalstaaten und der Frage danach, was für den Gedanken an ein Europa geopfert werden darf. Reuter brilliert mit anspruchsvollen und bemerkenswerten Gedankenfragmenten, reichert diese mit großartigen Samples an, von denen gerade die Deutschen sicherlich bei Kritikern des Genres sauer aufstoßen werden, wenn sie sie unreflektiert und für sich genommen werten. Inhaltlich also wenig Überraschendes aus dem Hause Rome: Reuter ist in meinen Augen einer der sehr bemühten Künstler des Genres, wenn es um gute Texte, offene und wertungsfreie Fragestellungen und intensiv recherchierte Aussagen und Samples geht. Doch ich jubelte ja bereits eingangs, weil Rome mich 2019 auch musikalisch endlich mal wieder richtig mitgerissen hat.

Nach einem neoklassischen Samplefeuerwerk mit Pathos und viel Tamtam, das so sehr überrascht, wie eine Wespe im Sommer, ist "A new unfolding" der perfekte Opener. Die schwerromantischen Werke des Neofolk in den 90ern und Romes eigene, frühe Alben finden sich im Sound wieder, der Klang ist reich an Instrumenten, Samples und dezent eingesetzter Elektronik, die Drums sind zum Teil stark verhallt um noch mächtiger zu wirken und über allem schwebt wie gewohnt Reuters mitreißender Gesang, der (und man kann es im NeoFolk nicht oft genug hervorheben) nicht nur wunderbar klingt, sondern auch die Noten trifft und sicher die Melodien mit mitreißenden Texten bereichert. "Who only europe knows" vermittelt eine drückende, wehmütige Stimmung und sein kraftvoller Refrain wird im Kopf hängenbleiben. Alleine all die kleinen Nebengeräusche, das Duett mit dem erschöpft klingenden Chor - stellvertretend für die große Mehrheit der Songs kann ich hier für mich feststellen: mitreißend im Kern und fantastisch und mühevoll in der Umsetzung. Auch "The west knows best" und "Feindberührung" heben sich auch der Masse guter NeoFolk Songs heraus durch ihre berührenden Refrains, mein Favorit folgt mit "Fliegen wie Vögel", einem neoklassichen Prachtstück, dessen Monotonie in Melodie und Gesang durch Fliegergeräusche und in den Hintergrund gesetztes Flüstern zu einer hypnotischen Walze mutiert, die zumindest mich mit jedem Durchlauf mehr ergreift. Etwas Apokalyptik Pop zum Ausgleich, "One lion's roar" und "Black crane" bieten etwas entspanntere Stimmung und nicht minder mitreißende Refrains. Nach sage und schreibe sieben wirklich empfehlenswerten Liedern folgt ein kleine Pause, "La fin d'un monde" bereitet vor, Reuter leitet den Abschluss ein: "The legion of Rome" ist hochdramatisch, Varus verliert seine Truppen, weiblicher Gesang bereichert das Klangbild und musikalisch bleibt der Protagonist unruhig auf der Stelle stehen, kann nicht mehr voran, hat seine Aufgabe aber auch nicht beendet.

"You said we didn't bleed enough.

Are we bleeding enough for you now?"

Was für eine Abschlussfrage, die wir in "Uropia o morte" immer wieder hören müssen oder dürfen. Was für ein ergreifender musikalischer Abschluss, bevor "Desinvolture" noch mit gesampleten Streichern und Gesängen ein saustarkes und doch musikalisch traditionelles NeoFolk Album beendet.

Ich hätte es nicht in dieser Intensität erwartet, Rome brachten bereits viele gute bis tolle Alben heraus, aber vorliegendes Werk ist musikalisch eine der hochwertigsten Sammlungen von kleinen Juwelen, deren Melodien die Spielzeit gut überdauern und sich vor allem mit dieser Qualität von der Mehrheit der veröffentlichten Stücke des Genres unterscheiden. Hut ab vor Reuter, der sowohl textlich als auch musikalisch auf Album Nummer 13 wirklich beeindruckt.