Seit nun mehr als 10 Jahren stellt Funckarma den zentralen akustischen Output der beiden niederländischen Brüder Don und Roel Funcken dar. Zusätzlich können die beiden auf zahlreiche Kollaborationen zurückblicken, im Zuge dessen sie mit der Zeit eine umfangreiche stilistische Vielfalt aufgebaut haben. Roel Funcken, welcher übrigens 6 Jahre lang "sonology" bzw. "Klangwissenschaft" studiert hat, nutzte den letztjährigen Vaterschaftsurlaub seines Bruders, um diesmal allein seine Begeisterung für Dubstep einer persönlichen Interpretation zu unterziehen. Dieses Experiment ist nun als "Vade", sein erstes Solo-Album, verkörperlicht worden. "Solo" ist allerdings etwas übertrieben, denn er arbeitete bei 10 Liedern abwechselnd mit Funckarma-Kollaborateur Cor Bolten, TJ Dimoon und IDM-Produzent Reimer Eising aka Kettel zusammen. "Vade" stellt auch den Versuch dar, die abstrakteren Spielarten elektronischer Musik tanzflächenkompatibler zu gestalten, was hier, wie schon angedeutet, unter Zuhilfenahme von einfacheren Zugang gewährenden Dubstep-Strukturen erreicht wird. Dies wird beim Hören auch sehr schnell deutlich, pendeln die einzelnen Stücke doch unterschiedlich stark zwischen der Komplexität und Vielschichtigkeit des IDM und dem einnehmenden Groove von 2 Step- bzw. Dubstep-Rhythmen. Tracks wie das geradezu funkig-jazzige "Gallice", das frickelige, unbeständige "Vade" oder das ruhigere, aber nicht weniger verspielte "Lyra Stellum" stehen für die kopflastigere Hälfte des Albums und veranschaulichen sehr gut die selbst diagnostizierte musikalische "Nervosität" und Liebe zum Detail Roel Funckens', die sich u.a. in Form dissonanter Klänge, bei denen man kaum oder nur ansatzweise von Melodie sprechen kann, schneller Wechsel, Klangcollagen und jeder Menge Schnitte äussert: Ohr-Candy en masse. "Fiction Stub", "Skarm Sfias" und vor allem "Lajor Mazer" stehen für die andere Hälfte, die in Bezug auf Instrumentierung etwas minimalistischer erscheint, den einzelnen Instrumenten mehr Raum gibt und einen eindeutigen, stabilen Dubstep-Rhythmus besitzt, wobei Roel natürlich nicht darauf verzichtet, die LFO's in vertrackterer Weise tanzen zu lassen als man es vielleicht aus diesem Bereich gewohnt ist. "Vertox Dreaming" steht als weiteres Beispiel sozusagen genau in der Mitte, denn es vereint einen klaren, durchgehenden 2 Step-Rhythmus mit dezenter Bassline und sehr flüssigen, abgefahrenen Synths und unstetiger, aber immer noch kohärenter, Melodie (teilweise flächig unterlegt, was dem ganzen eine sehr angenehme Wärme verleiht). Das ganze Stück ist sehr erhebend, die Sounds verhalten sich wie resonierende Seifenblasen, die bei Überanspruchung direkt wieder verschwinden. Mit "Martyrz" verhält es sich ähnlich, so ist es zwar rhythmisch verwandt, aber enthält weniger abgefahrene Synth-Experimente, stattdessen ist alles sehr perkussiv ausgerichtet und rhythmusbetont. Die Stimmung auf dem Album kann als abwechslungsreich beschrieben werden, einerseits gibt es , trotz aller Spielereien, sehr chillige, warme Stücke, auf der anderen Seite aber auch basslastigere und düsterere Tracks. Mit "Halfkriel" gibt es auch noch einen interessanten Ausflug in Drum and Bass-Gefilde, wobei es das wahrscheinlich melodiöseste Stück darstellt, im Sinne einer klaren, konsistenten Melodie, getragen von quietschig-spacigen Synths à la Raoul Sinier. Roel Funcken's Début-Album macht Spass, sobald man einen Zugang gefunden hat. Klangtechnisch gibt es viel zu entdecken, und Lieder, die beim ersten Hören vielleicht stressig und abweisend wirken, entwickeln sich zu organischen, treibenden Favoriten. Der experimentelle Charakter dieses Vorstoßes ist deutlich wahrzunehmen und Teil eines jeden Tracks, mal etwas mehr, mal etwas weniger. Die Spannung zwischen abstraktem, abgefahrenem Gefrickel und mitreissenden Rhythmen oder auch besänftigenden, Ambient-artigen Flächen, die sporadisch auftauchen, ist wohl auch verantwortlich für das Interesse und die Unterhaltung, die "Vade" beim Hörer erwecken kann. Ihm wird es allerdings nicht einfach gemacht, so habe ich z.B. Probleme damit, einen Bezug zu "Vade" oder "Orc Darce" aufzubauen. Insofern bin ich auch etwas skeptisch was die Tanzflächen-Kompatibilität angeht, die sich, meiner Auffassung nach, auf 5-6 Lieder begrenzt. Sobald man jedoch einen Ansatzpunkt entdeckt hat, ist es eine belohnende Erfahrung (und immerhin hat es "Koortshond" in die Playlist von BBC1-Moderatorin Mary Ann Hobbs geschafft). Für aufgeschlossene IDM- und Dubstep-Enthusiasten beidergleichen geeignet, und natürlich für Funckarma-Fans.