Mit Düsseldorf wird elektronische Musik in unterschiedlicher Ausprägung in Verbindung gebracht. Da ist auf der einen Seite der kühle Techno-Pop der Menschroboter von Kraftwerk, auf der anderen Seite der militaristisch-erotische Proto-EBM von der Deutsch Amerikanischen Freundschaft. Und dann war da noch Thomas Peters alias Tommi Stumpff. Er trug mit seinen - vor allen textlich - kompromisslosen Kompositionen an der Punkwerdung des Synthesizers bei und zählte damit zu den einflussreichsten Akteuren im Electro-Sektor. Nun ist Stumpff vor einer Woche nach langer schwerer Krankheit mit nur 65 Jahren verstorben, wie das Label Danse Macabre mitgeiteilt hat.

Dieses veröffentlichte 2021 sein letztes Album "Alles Idioten" (unter dem Namen Stumpff), eine kurze, aber heftige künstlerische Eruption, die keinen Zweifel daran hegte, dass der gebürtige Düsseldorfer auch im fortgeschrittenen Alter immer noch Wut im Bauch und Feuer im Allerwertesten hatte. "Geh sterben", "Alles Idioten", "Gnade dir Gott": Tommi Stumpffs Waffe ist nicht die spitze Feder, sondern das blutverschmierte Hackebeil, mit dem er auch im besten Renteneintrittsalter noch hantierte.

Wie kaum ein anderer verköperte er die Parole "einmal Punk, immer Punk", auch wenn sich die Art der Ausübung dieser Lebenseinstellung im Laufe der Jahrzehnte geändert hat. Als die darbende Musikindustrie mit der Neuen Deutschen Welle in den Wehen lag, schoss er mit seiner Band KFC kurzzeitig empor. Die beiden Alben "...letzte Hoffnung" (1981) und "Knülle im Politbüro" (1982) gehören bis heute zu den wichtigsten Werken deutschsprachiger Rockmusik. Überdies versammelte KFC eine Menge anderer namhafter Musiker, wie Trini Trimpop, der Mitbegründer der Toten Hosen und später deren Manager war; Tobias Brink alias Fritz Fotze und Michael David Clauss alias Micki Matschkopf riefen später die Band Nichts ins Leben ("Tango 2000").

Doch die starke personelle Fluktuation ließ erahnen, dass Tommi Stumpff nicht wirklich mit dem Konzept einer mehrköpfigen Band etwas anfangen konnte. Seine Gedanken wanderten bereits während seines Engagements bei KFC zu einer autarken Kunstform. Der Mann, der in seiner Kindheit in Paris und Brüssel Gitarrenunterricht bekommen hatte, entdeckte die Synthesizer für sich. Damit befand er sich zwar in bester Gesellschaft mit anderen Musikerinnen und Musikern dieser Zeit, die sich an den analogen Kästen versuchten. Doch während der Einzug der Elektronik oftmals mit einem Imagewechsel einherging, blieb Stumpff seiner rotzigen Attitüde treu.

Dementsprechend plakativ auch sein erstes Album "Zu spät ihr Scheißer. Hier ist : Tommi Stumpff". So kraftmeierisch der Titel, so stark ist noch die Unsicherheit des Musikers im Umgang mit der neuen Technik zu hören. Zwischen der Unbändigkeit muskulöser DAF-Klänge und der kindlichen Naivität von Der Plan beginnt Tommi, sich langsam mit der neuen Technik vertraut zu machen. Es benötigte erst die Hilfe eines Altbekannten, um Stumpffs Visionen lebendig werden zu lassen: Conny Plank produzierte mit ihm die Single "Contergan Punk" und schuf damit das, was später als Electro-Punk bezeichnet werden sollte.

Den ersten großen Erfolg sollte Stumpff mit "Ultra" erleben. 1989, als Techno langsam aber sicher das neue große Ding wurde (in diesem Jahr fand auch die erste Loveparade statt), bewahrte sich der Düsseldorfer weiterhin seinen sarkastischen Charme, den er mit sequenzierter Musik auf die Spitze trieb. "Lobotomie" und "Massaker" zählen mittleweile zu den Everblacks der EBM-Geschichte, letztgenanntes Stück gehörte in seiner 13 Minuten langen Extended-Fassung zu den unkaputtbaren Klassikern der Gothic-Diskotheken. Inflationär wird das Prädikat "zeitlos" verwendet, hier ist es allerdings angebracht. Denn trotz seiner mehr als 30 Jahre weißt "Massaker" keine Alterserscheinungen auf. Es ist die große Leistung von Tommi Stumpff gewesen, sich ganz auf sein Bauchgefühl zu verlassen.

Dieses veranlasste ihn 1993 dann auch dazu, der Musikindustrie komplett und etwas überraschend den Rücken zu kehren, um seinem Beruf als Informatiker nachzugehen. Just in dem Moment, als sein Stern zu steigen begann. Dies zeigt einmal mehr, wie unberechenbar er war, aber auch, wie wenig er sich darum kümmerte, was andere dachten oder in ihm sahen.

Erst 2015 tauchte er wieder aus der Versenkung auf und nannte seine neu gegründete Band Stumpff. Von Altersmilde war indes keine Spur: Kaum wieder im Musikbiz angekommen, wetterte er erst einmal gegen die Gruppe Das Bierbeben, einem Seitenprojekt von Tocotronic-Bassist Jan Müller, weil dieser Stumpff-Songs ohne seine Erlaubnis gecovert und veröffentlicht hat. "Die Schande kann nur mit Blut gewaschen werden", so seine markige Kampfansage.

"Tommi hatte gerade erst wieder Fuß gefasst und mit seinem letzten Album an die frühen Erfolge angeknüpft", erinnert Bruno Kramm, Musiker bei Das Ich und Chef von Danse Macabre, in einem kurzen Nachruf auf Facebook. "Auch wenn Tommi oft als streitbarer und provokanter aber auch konservativer Freigeist angeeckt ist, war er im Grunde seines Herzens ein Romantiker und tierliebender Idealist." Für die elektronische Musik aus Düsseldorf hatte er eine ähnliche Rolle wie Frank Tovey alias Fad Gadget in England: Er war der Prophet im eigenen Lande, der mit seiner Arbeit den Weg für andere Bands - unter anderem Front 242 - ebnete und ihnen ein leuchtendes Vorbild war, während sein Oeuvre nie die breite Akzeptanz erfahren hat. Sein Tod bedeutet einen riesigen Verlust für die elektronische Musik - nicht nur in Düsseldorf.