Hin und wieder entstehen Bands ja durch Zufälle, die so skurril sind, dass man sie sich nicht mal in einer Indie-Komödie trauen würde. Bei Ready To Master ‘RTM’ begann angeblich alles damit, dass Frank Börgerding und ‘Komplize Volka’ gleichzeitig in ihren jeweiligen Gärten standen, beide mit Gitarren bewaffnet, beide fest davon überzeugt, dass sie unbeobachtet seien. Doch da die Kölner Suburbia nun mal keine unendlichen Weiten hat, hörten sie sich gegenseitig – und statt verschämt ins Haus zu flüchten, beschlossen sie kurzerhand, einfach weiterzuspielen. Man könnte also sagen: ‘RTM’ wurden nicht gegründet, sie wurden versehentlich angejammt. Und genau diese herrliche Mischung aus Absichtslosigkeit, Spontaneität und „Ach, warum eigentlich nicht?“ hört man ihrem Debütalbum ‘We Got Snacks’ an, das schon am 21. November 2025 erschien.
Das Album wirkt vom ersten Moment an wie ein augenzwinkernder Seufzer in Richtung Gegenwart: „When the world is on fire, we bring the popcorn – and the soundtrack.” Und tatsächlich fühlt es sich an wie ein Polaroid, das man aus einem alten Digipack zieht, den Staub wegpustet – und plötzlich ist alles wieder da: die späten 90er, MTV mit echten Musikvideos, Flanellhemden, die mit den Schnürsenkeln deiner Dr. Martens um ästhetischen Vorrang kämpfen, Mixtapes für Momente, die man nie vergisst. Eine Epoche, in der Ironie und tiefes Gefühl keine Gegensätze waren. Genau aus diesem Boden wächst ‘We Got Snacks’, ohne sich in Retro-Romantik zu verlieren. Es ist eher eine Weiterentwicklung: ein nostalgischer Rahmen, der im Jahr 2025 verzweifelt gebraucht wird, weil man irgendwo zwischen Weltkrise, Overload und Deadline-Dauerdruck noch atmen möchte.
Musikalisch ist ‘We Got Snacks’ ein wunderbar eigensinniges Biest. Indie? Ja. Slacker-Pop? Auch. Stoner-Blues-Dunst? Unbedingt. Und dann diese cut-and-paste-artige Experimentierfreude, wie man sie von ‘Beck’, ‘Gorillaz’, ‘The Beta Band’ oder ‘Smog’ kennt. Die Platte fühlt sich an wie ein Moodboard das ein Eigenleben entwickelt hat: Gitarren, Bass, Beats, Field Recordings, Samples – alles darf rein, nichts muss raus. Es ist ein kontrolliertes Chaos, das erstaunlich warm wirkt. Die Songs stolpern manchmal los, fangen sich wieder, schimmern, knarzen, und wirken gleichzeitig vertraut und frisch. Genau dieser lässige Imperfektionismus macht hier den Reiz aus; ich persönlich finde es großartig, wenn Musik atmet und nicht so tut, als käme sie frisch aus dem sterilen Labor.
Was diese vielseitige Klangcollage zusammenhält, ist Frank Börgerdings Stimme. Tief, rau, warm, ein bisschen desillusioniert, aber niemals zynisch – eher wie jemand, der das Weltgeschehen einmal durchgekaut hat und nun mit einem ironischen Grinsen kommentiert. Seine Art zu erzählen macht die Songs zu kleinen Szenen, Mini-Dramen und Alltagsgrotesken, in denen man sich als Hörer sofort wiederfindet. Die Texte wirken wie fein dosierte Realitätskommentare: mal lakonisch, mal melancholisch, mal absurd-komisch, aber immer mit einem liebevollen Blick auf das Chaos, das wir Leben nennen. Man spürt die Müdigkeit der Gegenwart, aber auch den Humor, den man braucht, um sie zu ertragen.
Ich mag besonders, dass ‘We Got Snacks’ kein Album sein will das perfekt funktioniert. Es ist nicht gemacht für Algorithmen, Charts oder Playlists mit Namen wie „Indie Vibes 2025“. Dieses Album will vermutlich auch gar nicht gefallen – es will passieren. Und genau deshalb gefällt es. Es hat Charakter, Haltung, Ecken, Kanten und eine Wärme, die gerade in DIY-Produktionen schwer zu fälschen ist. Es klingt wie ein Roadmovie zwischen Ostfriesland, Rheinland und einem imaginären Lost Highway, der irgendwo zwischen Vergangenheit und Gegenwart verläuft, aber immer den richtigen Soundtrack liefert.
Für wen ist dieses Album also gemacht? Ganz klar für Menschen, die Indie mögen, aber dieses glattbügelnde Streaming-Zeitalter satt haben. Für jene, die das Schräge, Überraschende, Humorvolle suchen. Für Menschen, die Musik hören wollen, die stolpert, schwebt, leuchtet und sich traut, unpoliert zu sein. Fans von ‘Beck’, ‘Eels’, ‘The Beta Band’, ‘Gorillaz’ oder ‘Wilco’ dürfen sich wie Zuhause fühlen, ohne das Gefühl, in einer reinen Retro-Abstellkammer gelandet zu sein. Nicht geeignet ist die Platte für Hörerinnen und Hörer, die klare Genres, sofortige Hooks oder durchoptimierte Radiotauglichkeit erwarten. RTM sind sicher keine Hitfabrik – sie sind eher Klangabenteurer, Geschichtenerzähler oder Stimmungsarchitekten.
Am Ende bleibt hier für mich ein Album, das irgendwie genau zur Gegenwart passt: ein Soundtrack für eine Welt, die ein bisschen zu schnell bröselt. Eine Ode an den kontrollierten Kontrollverlust. Eine Erinnerung daran, dass Humor und Musik manchmal das Einzige sind, was uns davon abhält, komplett durchzudrehen. Draußen brennt vielleicht alles ein wenig zu hell – aber RTM sitzen am Rand, strecken dir die Hand aus, teilen ihre Snacks und spielen auf. Und ehrlich? Wenn die Welt schon untergeht – dann bitte so. Mit Popcorn. Und genau mit diesem Album.
Ready To Master - We Got Snacks
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