Ein Hörbuch zu rezensieren ist für mich eine Premiere und birgt so manchen Fallstrick, da gerade Literatur Geschmackssache ist und beim Lesen oder Hören ja jeder so seine eigenen Vorstellungen entwickelt. Geradezu prädestiniert für eigene Gedanken ist das vorliegende Hörbuch „Reader's Darkest“ in dem bekannte Musiker der Wave-/Gothicszene eigene oder fremde Literatur lesen. Das Buch ist in zwei CD's unterteilt, die sich thematisch unterscheiden. Gemeinsam ist beiden, daß sie mit einer Science Fiction Geschichte beginnen. Auf CD 1 ist dies „Neosapiens“ von Nik Page (ex Blind Passengers). Erzählt wird von einer beängstigenden Zukunftsperspektive, in der im Berlin des 21. Jahrhunderts die sog. „Maniacs“ ihr Dasein am Rande einer hochtechnisierten, perfekt organisierten aber seelenlosen Gesellschaft fristen. In's hier und jetzt holt uns Joke Jay (And One) mit Versen von Gottfried Benn, Max-Hermann Neisse und Ernst Blass zurück, die mal skurril, mal abstoßend, mal erstaunlich alltäglich aber immer aufrüttelnd wirken. Joke Jay versteht es durch seinen lebendigen Vortrag, diese Stimmungen zu vermitteln, mal nüchtern hochdeutsch, mal charmant berlinerisch (für mich als Allgäuerin nicht immer leicht zu verstehen...). Anke Hachfeld (Milu / Mila Mar) ist die einzige weibliche Teilnehmerin an dem Projekt. Sie läßt uns in „Lust, Blicke, Augen (Traum)“ auf die feminine Seite einer sinnlich-bizarren, erotischen Phantasie blicken, bevor ASP mit „Die drei Rosen“ eine Liebe beschreibt, die, den Versuchungen erlegen, ihre Unschuld unwiederbringlich verliert. Die Tragik des Verlustes ist auch das Hauptthema des Gedichtes „Der Rabe“ von Edgar Allan Poe. Der Besuch und die Botschaft des Raben wird durch den schnörkellosen Vortrag von Hardy Fieting (Scream Silence) intensiv erlebbar gemacht. Weniger kann ich dagegen mit Horvi's (Endraum) Gedichten anfangen. Die abgehackte Rezitation wirkt für meinen Geschmack etwas zu reißerisch. Führt uns der erste Teil des Hörbuches in düstere, manchmal abgründige Gedankenwelten, so widmet sich die zweite CD den skurrilen, manchmal heiteren Seiten des Lebens. Wie schon erwähnt beginnt auch der zweite Teil mit einer Zukunftsvision, die uns diesmal in's Jahr 2229 führt. Oliver Taranczewski (T.O.Y.) erzählt von der Suche nach dem ultivmativen Kick, der, endlich gefunden, geradewegs in's Verderben führt – die Menschheit lernt's wohl nie! Nach der spannenden Prosa von „Das Gedankenkino“ wirken die 12 kurzen Verse von „Abusus Dasein“ zunächst wie wild zusammengewürfelte Collagen, eröffnen aber nach einiger Zeit, nicht zuletzt durch Kaaja Hoyda's (Stendal Blast) direkte Wortwahl ihren kritischen Kern und regen zum Weitersinnieren an. Myk Jung's (The Fair Sex) Kurzgeschichte „Der Vierte“ ist geprägt vom ewigen Wunsch aller Menschen, manchmal die Zeit anhalten zu können. Verpackt ist dieses Thema in einen augenzwinkernden Handlungsstrang, in dem die „Vier Prinzipien“ alle 1000 Jahre den Lauf der Zeit mit einem absonderlichen Ritual erneuern müssen. Kräftig geschmunzelt werden darf auch bei den skurrilen Reportagen des Alexander Nev, die von Axel Ermes (Girls Under Glass) präsentiert werden. Doch so abgefahren diese Berichte auch sein mögen, beinhalten diese doch messerscharfe Ironie und sind keineswegs mit der so in Mode gekommenden effektheischenden Comedy gleichzusetzen. Von ebenso beißender Kritik sind Georg Kreisler's „Grundsätze, gelesen von Oliver Klein, sowie dessen eigene Geschichten „Altern, Sterben, Tod“ und „Traum eines Hamsters“. Oliver Klein entläßt schließlich den Hörer mit einem 21 Sekunden kurzen „Quickie“, der noch lange nachwirkt. „Reader's Darkest“ ist ein Hörbuch, das aufgrund seiner Vielfältigkeit für jeden aufgeschlossenen Zuhörer sein persönliches Highlight bereithält. Meines sind die Berichte von Alexander Nev, doch dies ist und bleibt rein subjektiv. Eines haben alle Beiträge gemeinsam, sie erfordern Muße und die Bereitschaft, sich auf sie einzulassen und – sie lassen niemanden kalt.