Es gibt Künstler, die einfach Musik machen – und es gibt 'Raoul Sinier'. Der Franzose, früher kurz und bündig als 'Ra' unterwegs, ist kein Mann halber Sachen. Wer seine Werke kennt, weiß: Bei ihm gibt es nie nur etwas zu hören, sondern immer auch etwas zu sehen, zu fühlen, zu begreifen. Er entwirft Cover-Artworks, dreht Videos, zeichnet Comics und animiert gleich noch seine eigenen Figuren dazu. All das fügt sich zu einem großen Ganzen – zu einem Universum, das so eigenwillig ist, dass man ihm kaum entkommt. Mit Tremens Industry, seinem vierten Album, zeigt Sinier einmal mehr, dass Kreativität keine Grenzen kennt. Das Werk kommt nicht allein: Neben der Audio-CD liegt eine vollgepackte DVD bei – mit Musikvideos, Kurzfilmen, Making-Ofs und kleinen Dokumentationen. Ganze 140 Minuten Material! Man bekommt also nicht nur Musik, sondern eine Art „Bestandsaufnahme seines Wahnsinns“ – im besten Sinne.
Musikalisch bleibt Sinier dort, wo er sich seit Jahren am wohlsten fühlt: im Niemandsland zwischen IDM, Hip-Hop, Breakbeat und elektronischer Experimentalkunst. Doch diesmal wirkt alles ein wenig fokussierter, strukturierter, fast „reifer“, ohne an Originalität zu verlieren. Während frühere Werke wie Wxfdswxc2 (2007) oder Brain Kitchen (2008) noch wild zwischen Ideen hin- und hersprangen, setzt Tremens Industry auf eine durchdachtere Dramaturgie. Die komplexen IDM-Spielereien, die früher gern in alle Richtungen ausfransten, treten zugunsten einer atmosphärischen Dichte zurück. Das Ergebnis: ein Album, das weniger überrumpelt, aber stärker nachhallt.
Neu hinzu kommt die Stimme des Meisters selbst – gesungen und gesprochen, mal auf Englisch, mal auf Französisch. Besonders im Stück The Hole verleiht Sinier seiner Musik damit eine neue Dimension. Der Song beginnt auf einem mittleren Breakbeat-Tempo, das immer wieder digital manipuliert und auseinandergerissen wird. Gegen Ende wechselt der Rhythmus – der Beat entschleunigt, die Synths und Klaviersounds treten in den Vordergrund, und plötzlich wirkt alles erstaunlich zerbrechlich. Solche Momente, in denen sich der elektronische Apparat in etwas Menschliches verwandelt, gehören zu den stärksten des Albums.
Aber Sinier kann auch anders. Map For A Tactical Nonsense etwa drückt im zweiten Teil ordentlich aufs Gas und flirtet mit einem fast geradlinigen 4/4-Beat – etwas, das man bei ihm selten erlebt. Trotzdem bleibt er sich treu: selbst in seinen zugänglicheren Momenten bleibt der Sound schräg, verschachtelt, immer einen Schritt abseits. Das titelgebende Tremens Industry wiederum zeigt ihn von seiner eingängigeren Seite. Ein simpler, aber hypnotischer Breakbeat-Loop läuft fast unverändert durch, während Sinier darüber seine abgefahrenen Melodien und kleinen Sound-Finten legt. Es ist das Stück, das am ehesten im Ohr bleibt – aber natürlich nie so, wie man es erwarten würde. Charakteristisch für Sinier ist sein Umgang mit Klangschichtung: Oft laufen die einzelnen Elemente scheinbar autonom nebeneinander her, als würden sie sich gegenseitig ignorieren – und doch, im richtigen Moment, treffen sie sich zu kurzen, harmonischen Augenblicken. Diese kontrollierte Desorganisation ist sein Markenzeichen. Hinzu kommen seine berüchtigten Klangwände, die sich wie Noise-Lawinen auftürmen: übersteuert, dreckig, fast matschig – aber immer kunstvoll kontrolliert. Man wünscht sich fast ein wenig mehr Verzerrung, einfach um völlig in diesem Chaos aufzugehen.
Und dann ist da noch die DVD – ein eigenes Erlebnis. Neben Videos zu Tremens Industry gibt es dort auch Clips zu älteren Tracks aus Brain Kitchen und Wxfdswxc2. Dazu kommen Speedpainting-Sequenzen, die zeigen, wie seine Illustrationen im Zeitraffer entstehen, sowie kleine Einblicke in seine Bastel- und Soundexperimente – unter anderem, wie er eine eigene Gitarre baut. Alles zusammen vermittelt ein eindrucksvolles Bild eines Künstlers, der in Bildern denkt und in Klängen malt. Drei Stunden Unterhaltung für 18 Euro – das ist heute fast schon ein Statement. Aber wer glaubt, es handle sich hier um leichte Kost, der irrt gewaltig. Tremens Industry ist fordernd, sperrig, manchmal anstrengend – aber auch faszinierend, verspielt und voller Überraschungen. Es ist Musik, die den Kopf beansprucht, aber das Herz nicht vergisst.
'Raoul Sinier' mag zugänglicher geworden sein, doch er bleibt der kauzige Tüftler, der sich mit Freude im Klang verirrt. Für Fans von Ninja Tune, Amon Tobin oder Clark ist dieses Album Pflicht – für alle anderen vielleicht der Beginn einer seltsamen, aber lohnenden Freundschaft.
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Raoul Sinier - Tremens Industry
Via Obscura - Traum
Das Münsteraner Trio Via Obscura, bestehend aus Bassist Andre Manke, Sängerin und Keyboard-/
Suicide Commando: Album ist fertig
Wie aus dem Newsletter zu lesen wurde das kommende Suicide-Commando Album "Implements of hell" fertiggestellt! Das Nachfolgeralbum von "Bind torture kill" wird Ende Januar 2010 bei Out Of Line und Metropolis in 3 verschiedenen Versionen erscheinen. Hierbei handelt es sich um die "Regular edition", der "Limited Digipack Edition" in welcher einer Bonusdisc zu finden sein wird sowie der "Special limited boxset-Edition" in welche die Bonusdisc, ein T-Shirt und noch einige andere Dinge enthalten sein wird.