Claus Kruse ist PNE, ist Plastic Noise Experience. Verschiedene Mitstreiter haben ihn seit der Geburt seines „Projektes“, die mittlerweile schon zwanzig Jahre zurückliegt, begleitet. Sei es beim Schrauben an der Klang-Ästhetik im Studio, sei es live auf der Bühne hinter den Keyboards. Doch Kruse war eben immer derjenige, der hauptverantwortlich an den Kreativ-Knöpfen gedreht hat. Dass Herrn Kruse das Talent für die Kreation von kühler und anspruchsvoller elektronischer Musik in die Wiege gelegt zu schein, steht wohl außer Frage. Er hat dies schon oft genug unter Beweis gestellt. Wurde er Anfang der Neunziger (des letzten Jahrtausends, versteht sich) noch in einem Atemzug mit Szenegrößen wie Project Pitchfork genannt, war es zwischenzeitlich arg still um ihn und sein kreatives Baby geworden. Kein Wunder – denn er hatte sich mit bisweilen fehlendem Output auch arg rar gemacht. Mit „Reiz und Reaktion“ ist er allerdings wieder aus seinem eigenen, unproduktiven Schatten getreten. Zugegeben; die Veröffentlichung des Albums liegt mittlerweile schon wieder ein halbes Jahr zurück. Dies ist aber absolut kein Grund, sie unter den handgeknüpften MK-Perser zur schieben - im Gegenteil. Es wird langsam Zeit, dass wir uns ihrer hier annehmen. Alles andere wäre einfach zu schade… Die Musik von Plastic Noise Experience ist definitiv ruhiger geworden, harsche EBM-Attacken unterbleiben gänzlich. Englische Texte ebenso. Kruse dichtet ausschließlich in seiner Muttersprache Deutsch. Und das, was er zu Papier gebracht hat, passt hervorragend zu den kühlen Klängen seiner vollelektronischen Musik. Der ursprünglich aus Minden stammende Vollblutelektroniker singt mit seiner sonoren (und überhaupt nicht verzerrten) Stimme von Stalkern („Zu nah“), Schlaflosen und Menschen, die psychisch am Abgrund stehen („Besessen“). Alles andere also als Sunshine-Reggae-Lyrik, sondern eher psychologisch sezierend. Dabei weiß er so geschickt mit der deutschen Sprache umzugehen, dass sich alles exakt rhythmisch reimt und – wie angedeutet – auch inhaltlich perfekt zur Musik passt. Hier erscheint nicht eine einzige Silbe dort, wo sie nicht hinpasst. Nicht ein Reim klingt lächerlich, oder irgendwie an den Haaren herbeigezogen. Hier ist nichts zu viel; nichts überflüssig, alles an Ort und Stelle platziert. Bei der Musik ist es ähnlich. Von den EBM-Wurzeln sind hier nur die typischen „sechzehnteligen“, exakt programmierten Bass-Figuren und einige metallische Drum-Elemente geblieben. Diese werden jeweils ergänzt durch interessante, sehr behutsam eingesetzte elektronische Farbtupfer, Klangteppiche und spärlich gestreute Sprachsamples. Hatte ich bei den ersten zwei, drei Durchläufen noch den Eindruck, das Album wäre unter-bzw. einfach nicht fett genug produziert, ist mir schnell klar geworden, dass Mastermind Kruse genau dies beabsichtigt haben muss! Bei der Produktion intendierte er mit Sicherheit, ein kalte, teilweise fast schon minimal anmutende Kraftwerk`sche Klangästhetik mit Einflüssen aus der elektronischen Körpermusik sowie mit Refrain-lastigen Popmusik-Strukturen zu kombinieren. Dies ist ihm perfekt gelungen! „Reiz und Reaktion“ wirkt, wie frisch aus dem Gefrierfach entnommen und danach auf dem Silber-Tablett serviert und eiskalt-dampfend gereicht – und eben nicht nur für den cool tanzenden Clubgänger. Der sich bewegungslos im stylisch-kalten Ledersesseln mümmelnde Großstad-Nerd sowie schlichtweg alle Fans von eiskalter Elektronik mit Gesang, die es lieben, ihre heimischen Räumlichkeiten laut und wohlig kühl durchfluten zu lassen werden ebenfalls musikalisch intensivst angegangen. Die Zielgruppe ist groß, von den Hörgewohnheiten her gereift und hat es offensichtlich nicht mehr nötig, mit Hell-Electro und über-aggressivem EBM die Muskeln spielen zu lassen. Was für ein starkes, in sich geschlossenes Werk eines deutschen Elektronik-Künstlers. Ich maße mir sogar an, es als kleines Meisterwerk zu bezeichnen! Vorausgesetzt man gibt ihm die nötige Zeit zur Reife und erkennt seine gewollte, nur auf den ersten „Blick“ anmutende Unterproduziertheit, die gar keine ist. Erst dann kommt es zur vollen Entfaltung, macht richtig Spaß und wurmt im Ohr bis zum jüngsten Tag.