Klar, wer in dunkleren musikalischen Gefilden unterwegs ist, kennt das Problem nur zu gut: Vieles klingt vertraut, manches erschreckend austauschbar. Die Szene lebt von Ästhetik, Attitüde und Wiedererkennbarkeit – und tritt sich dabei nicht selten selbst auf die Füße. Umso schöner ist es, wenn plötzlich ein Album auftaucht, das diesen bequemen Autopiloten konsequent abschaltet. 'Egomessiah' von Pinhead ist genau so ein Teil. Kein schneller Konsum, kein gefälliges Szeneprodukt, kein kalkulierter „Ach-das-kennt-man-ja“-Moment – sondern ein Werk, das mit Nachdruck darauf besteht, ernst genommen zu werden. Und ja, das macht es nicht immer einfach. Aber genau darin liegt seine Stärke.
Musikalisch ist 'Egomessiah' schon ein vielschichtiges, stellenweise widerspenstiges Album, das sich bewusst jeder klaren Schublade entzieht. Progressive Metal bildet zwar ein solides Fundament, doch darauf wird ein dichtes Geflecht aus Industrial-Texturen, elektronischen Fragmenten, düsteren Ambient-Flächen und beinahe gothischer Schwermut aufgebaut. Das Ergebnis ist kein sauber poliertes Hochglanzprodukt, sondern ein bewusst kantiges Klangbild, das Reibung erzeugt – emotional wie ästhetisch. Was mich persönlich besonders fasziniert hat, ist die Konsequenz, mit der 'Pinhead' Spannung aushält. Hier wird nichts vorschnell aufgelöst, nichts für den schnellen Effekt glattgezogen. Aggressive Passagen dürfen roh bleiben, während ruhigere Momente nicht als Verschnaufpause, sondern als psychologischer Tiefgang funktionieren. Die Produktion unterstützt diesen Ansatz perfekt: dicht, druckvoll, aber nie steril. Man hat das Gefühl, mitten im inneren Monolog des Künstlers zu stehen – manchmal als Beobachter, manchmal als unfreiwilliger Komplize.
Der Gesang von Ilja John Lappin ist dabei weniger klassischer Frontmann als vielmehr Ausdrucksmittel. Wechsel zwischen kontrollierter Aggression, brüchiger Intimität und unterschwelliger Verzweiflung wirken nie aufgesetzt, sondern folgen einer inneren Logik. Gerade diese emotionale Unberechenbarkeit sorgt dafür, dass 'Egomessiah' nicht einfach „durchläuft“, sondern immer wieder innehält, irritiert und zum erneuten Hinhören zwingt. Ein Album, das Aufmerksamkeit einfordert – und sie im Gegenzug auch belohnt. Thematisch kreist das Werk um Selbsttäuschung, Ego-Konstrukte, innere Zerrissenheit und den schmerzhaften Prozess, sich selbst zu hinterfragen. Das alles geschieht ohne erhobenen Zeigefinger und ohne pseudo-philosophische Floskeln. Stattdessen wirkt vieles fragmentarisch, roh, manchmal fast unangenehm nah. Für mich fühlt sich 'Egomessiah' weniger wie ein klassisches Album an, sondern eher wie ein vertonter innerer Konflikt – ungeschönt, nicht immer angenehm, aber ehrlich.
Trotz seiner Laufzeit verliert das Album erstaunlich selten an Spannung. Es ist kein leicht verdaulicher Brocken, aber schon ein Album das mit jeder weiteren Begegnung wächst. Gerade in einer Zeit, in der viele Veröffentlichungen nach dem dritten Durchlauf verblassen, ist das ein nicht zu unterschätzender Pluspunkt. 'Egomessiah' von 'Pinhead' ist ein Album für Hörerinnen und Hörer, die bereit sind, sich fordern zu lassen – musikalisch wie emotional. Wer Progressive Metal, Industrial-Ästhetik, düstere Elektronik und konzeptionelles Arbeiten schätzt, wird hier ein Werk finden, das lange nachhallt und sich nicht erschöpft. Nicht geeignet ist dieses Release für all jene, die nach schnellen Hooks, klaren Genregrenzen oder reiner Hintergrundbeschallung suchen. 'Egomessiah' verlangt Zeit, Konzentration und eine gewisse Bereitschaft zur Selbstreflexion. Aus persönlicher Sicht ist dieses Album ein wohltuender Gegenentwurf zur Beliebigkeit – unbequem, eigenständig und mutig. Kein Werk, das jedem gefallen will, aber eines, das genau dadurch Profil zeigt. Und genau solche Alben braucht eine Szene, die sich in dieser Zeit allzu oft im eigenen Spiegelbild verliert.
Pinhead - Egomessiah
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