In Hell(e)-Mitte, dem Zentrum der wohl größten Plattenbausiedlung Europas, feierte man grad ausgelassen das Jolka-Fest des Berliner Nordostens. Dabei dreht sich wieder mal alles um Väterchen Frost, der russischen Modifikation des Weihnachtsmannes. Er & Stalin personifizieren noch immer die wohl beliebtesten bolschewistischen Bartträger, diesseits & jenseits der Visapflicht. Kaum anzunehmen das bei jener (N)Ostalgie-Party, neben Balalaika-Tönen, auch die jüngste Scheibe der elektifizierten Bauarbeiter auf dem Plattenteller landet... obwohl die 3 Tracks der DJ-Promo im ersten Durchlauf degoutant wie ostdeutsche Sehnsüchte nach einer erinnerten Vergangenheit & emphatischer Souvenir-Tanzwut klingen.
Der Terminus Patenbrigade hat jedoch seinen real existierenden Beigeschmack, seinen kaderpolitischen Witz verloren. Electro für Kranführer ist heute das Erste, was den meisten hierzulande dazu einfällt. Klanggewaltiger Arbeitsalltag jenseits dem von Schäfer Heinrich oder der steten Aggressionstristess einiger Oldschool-Metzger... welcher spätestens seit der Retrospektive Demokratischer Sektor auch immer mehr Tanz-Bodenverdichter mit Vibrationszuschaltung kultivierte. Soviel der Vorrede muss sein, damit klar wird wie leicht es ist diese wortwörtlich zu nehmende Maxi zu unterschätzen. Knapp 20 Minuten Spielzeit, neue Maßstäbe was explizite Archiveinspielungen von der Apparatschik-Resterampe sowie deren intelligente Montage anbelangt, der wiederholt verflixt spannende Multi-Track-Nonstop-Mix & fortlaufend "erzählte" Zeitgeschichte. Diese vertieft nun die Ereignisse um Alfred Brun & weiterer tausender Ostberliner Bauarbeiter welche am 16. Juni 1953 von der ersten sozialistischen Straße Deutschlands zum Haus der Ministerien zogen, um gegen die Erhöhung des Arbeitspensums zu protestieren.
Sowjetische Truppen verhängen den Ausnahmezustand. Mehr als 1500 werden daraufhin verurteilt, darunter 20 zum Tode. Stalin selbst war 3 Wochen zuvor verstorben, sein Machterhaltungsprinzip inklusive der Unterdrückung jedes unabhängigen Gedankens blieb. Bis zum 10. Januar 1990. Da zogen abermals Bauarbeiter vor die Volkskammerder DDR. Sie traten in einen Warnstreik & erstritten Demokratisierung sowie die Auflösung der Staatssicherheit. Begleitet haben sie in diesen knapp vierzig Jahren stets Frequenzmodulationen. Aus Radios, Fernschreibern, TV & Synthesizern... Man kommt nicht umhin Sven Wolff & Lance Murdock hierbei faktisch die Vollendung der Konzept-Single zu attestieren. Ein Umstand an dem das Artwork von Norman Winter & Marshall mit seinem antikem Regionalkolorit nicht ganz unschuldig ist. Die kultigen Konsumgüter zur Absatzförderung, welche selbst Gewohntes aus Landshut in den Schatten stellt, tun ihr übriges hinzu. Der volkseigene Jugendklub Mix vom Titeltrack "Stalinalle" fesselte bereits vorab Zuhörer & Tänzer. Kompressor-Einheiten von ClubPAs liefen heiß, angesichts glühender Parolen politischer Marktschreier. Komprimierter als die Album-Version stampft dieser Mix, auf der Suche nach Ostberliner Identität, auch Analogien zu brachialen Samples aus einer anderen Zeit. Dieser Wesenszug kommt nicht von ungefähr. Lenin, Stalin, Mielke waren begeisterten Freunde des Preußentums, der Disziplin & des Autokratismus. Im Licht von über 4000 Scheinwerfern & unter dem Klang von Marschliedern wurde am 02. Januar 1952 um 17 Uhr an der Stalinallee mit der Enttrümmerung begonnen...
Doch hier wabbert nicht nur rote Grütze unterm harten gelben Plastikhut. Die Patenbrigade zurrt den Kinnriemen fest & packt den Führerkult zielsicher dort, wo es wehtut: mit Parodie in der Namensgebung & einer adäquaten Abstimmung mit den Füßen. Wild wechseln anschließend die Schauplätze & ganz plötzlich bedient man sich wieder ruhigen faszinierenden Klangmalereien, "Der Generalmajor fährt zur Arbeit". Was sich wie ein sphärischer Ausflug nach Terra incognita anhört ist auch so gemeint, bis ins Jahr 1990 wurde auch an Schutzbauten mit zentraler Bedeutung in Hohenschönhausen gewerkelt. Einem Ort, der auf keinem Stadtplan der DDR verzeichnet war. Wo sich der Operativ-Technische Sektor des MfS befand, in dem unter Leitung von Generalmajor Günter Schmidt u.a. auftragsbezogene Entwicklungsarbeiten zur Nachrichtenübermittlung & die Führung der Fingerabdruck-Sammlung bewerkstelligt wurden. Genau die Instrumente welche die Abwehrorgane für ihren inneren Krieg benötigten, was konstruktive Kritik war & was nicht, bestimmte die Partei... Achtung, Vorsicht - "Feind hört mit!". Es ist nicht irgend jemand, der hier mahnend seine Stimme erhebt. Immer wenn es gefährlich wird, steht Sara Noxx der Patenbrigade bei. So auch mit ihrem durchdacht programmierten Edit, der nach anfänglichem Entsetzen, über die eingefangenen Vollzugsmeldungen, für schwingende Hüften sorgt... Das Thema "Datenfernübertragung" wird im gleichnamigen Noise-Zwischespiel noch einmal aufgenommen. Ein halbminütiges Fest für alle die in Hex, Bits & Bytes träumen.
Für alle, denen die Monophonie von Akkustikkopplern & Faxgeräten wie Rhythmik mit dem gewissen Etwas erscheint & sicher keineswegs eine Hommage an eines der meistverkauften Alben der DDR - „Computerkarriere“ von den Puhdys ;-) Die akkustische Antwort der Gegenstation ist verklungen & ab jetzt werden dem "Signal" Daten aufmoduliert... Der geneigte Empfänger kommt nun nicht um eine Demodulation Daten. Die Verse von Franz Carl Weiskopf peitschen gnadenlos & mit immens lobenswerten Druck in eine Richtung wie wir sie schon von der Kampfgruppe aus dem Chemnitzer Hangar mögen. Frontaufweichungen im Militainment wird es allerdings nicht geben, die Patenbrigade hat ihren explosiven Cocktail so hinreisend eingespielt & raffiniert unterfüttert, dass nun auch in der heutigen EBM-Hierarchie nichts mehr gilt. Bei exakter Dekodierung der Feuerreiter-Verse erhält man die Radiobotschaften (per Morsesignal) der Kronstädter Matrosen. Sie kämpften an der Spitze der Revolution im Russland des Jahres 1917 & sollten nur vier Jahre später erfahren was es bedeudet den ersten volksmäßigen & unabhängigen Versuch einer Befreiung vom Joch des Staatssozialismus zu initiieren. Es gab zuwenig Morseapparate bei den Arbeitern & zuviele Schlächter im Auftrag der Partei der Bolschewiki. Als Treppenwitz der Geschichte darf das Schicksal des Verfassers angesehen werden, 30 Jahre nach dem verfassen seiner Hymne auf Petrograd übersiedelt er aus Abscheu vor stalinistischen Schauprozessen in der Tschechoslowakei nach Berlin. Ins Ost-Berlin des Jahres 1952! Unbenannt & nicht weiter deklariert wurden die knapp 4 Minuten zum Ausklang. Man wird hier Ohrenzeuge einer ad absurdum geführten Verweigerung gegenüber Anglizismen & der unabdingbaren Differenzierung von Alternativer Subkultur jenseits des Jubels, welche fast schon wie Satire statt wie eine Einschätzung der damaligen politisch-operativen Lage klingt. Solch antiquierten Bilder bekommt man nicht alle Tage zu hören. Signale aus dem Osten, wie z.B. Solidarnosz, Perestroika & Glasnost wurden jedoch ebenso wie Indivitualität als sozialismusfremde Auffassungen verfemt. Wer nicht im Jugenddisziplinierungsinstrument FDJ funktionierte, galt als negativ-dekadent. Dekadent war vielleicht gar nicht mal so falsch - alles andere schon.
Es gibt sie leider immer noch viel zu selten - Veröffentlichungen, die man nicht nach den ersten Minuten bereits in einer Schublade ablegt. Wo man sich schweißgebadet wieder findet & fragt was man denn eigentlich gerade gehört hat, nur um daraufhin erneut auf Play zu drücken... Doch mancher wird sich auch fragen warum er angesichts inzwischen hochdekorierter ostdeutscher Baugeschichte in Verzückung geraten, nachdenken oder etwa googlen sollte. Der Fall der Mauer jährt sich doch inzwischen auch schon zum zwanzigsten mal...
Doch schon wieder herrscht Planwirtschaft im Lande, eine spezielle Form bei der man den schnellen Mitnahmegewinn kurzfristig plant. Möglichst viel Arbeit für möglichst wenig Geld ist ebenso ein identisches Ziel. Massenmedien beeinflussen & verstärken wie gehabt die öffentliche politische Willensbildung. Eine kritisch-historische Diskussion & Aufarbeitung des Nationalsozialismus sowie des Sozialismus hat es in beiden deutschen Staaten nie wirklich gegeben. Aber es gibt z.B. die Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam. Früher auch bekannt als Deutsche Akademie für Staats- & Rechtswissenschaft oder auch schlicht MfS-Hochschule, hier holte sich die Elite der Staatssicherheit ihr Rüstzeug zur effektiven Unterdrückung & wurde dafür mit einer Promotion zum Dr. jur. belohnt. Dieser akademische Grad gilt auch noch heute & berechtigt zum führen einer Kanzlei oder ist auch ganz nützlich für Beratungs- oder Lobbyisten-Tätigkeiten. Parallel zu Erich Mielke & den Hardcore-Stalinisten des MfS, spricht sich der 13 Jahre später geborene Dr. jur. Wolfgang Schäuble inzwischen für Internierungslager für sogenannte "Gefährder" aus & engagiert sich für eine Umwandlung des Rechtsstaats in einen außerparlamentarischen Überwachungs- bzw. Präventivstaat. Ideologien sind leider austauschbar - Individuen nicht!