So ganz überraschend war es nicht, als Dero Goi 2021 - und damit nach über 30 Jahren - seine Band Oomph verlassen hat. Im Zuge der Corona-Pandemie hat der Frontmann den Glauben für sich gefunden und in einem Interview verlautbaren lassen, dass er einige Oomph-Songs wegen seiner blasphemischen Inhalte nicht mehr singen würde. Mittlerweile steht der Mann aber auch durch fragwürdige Posts in seinen Social-Media-Kanälen in der Kritik. Nebenbei hat er bei der Plattenfirma Dependent wieder eine neue Heimat gefunden, um seine nächsten musikalischen Ergüsse zu präsentieren. Wie schwierig die Causa Dero geworden ist, zeigt auch der Shitstorm, den Dependent über sich ergehen lassen musste, als sie Dero als neues Signing des Labels präsentierten. 

Für die übrigen Mitglieder Crap und Flux war indes die Frage: aufhören oder weitermachen? Erst im Juni dieses Jahres ließen sie die Katze aus dem Sack. Oder besser gesagt: den Schulz. Daniel Schulz, einfach nur Der Schulz genannt und als Sänger von Unzucht landläufig bekannt, ist seit einiger Zeit freundschaftlich mit der Gruppe verbandelt, was die Entscheidung, bei den übrig gebliebenen Oomphlern einzusteigen, vielleicht erleichterte. Dennoch hatte keiner im Vorfeld mit diesem Move gerechnet. Für das aktuelle Album "Richter und Henker" wurde Schulz bereits voll integriert und tat sich als treibende kreative Kraft hervor.

Dero zu ersetzen, ist natürlich schlechterdings unmöglich. Mit Daniel Schulz hat man aber einen guten Ersatz gefunden, da er ein ähnlich extrovertiertes Organ besitzt, um den klassischen Neue-Deutsche-Härte-Songs etwas entgegenzusetzen. Es bleibt aber nicht aus, unweigerlich an Unzucht zu denken; dafür ist Schulzes Stimme einfach zu sehr an seine Stammband gekoppelt.

Auch wenn die neue Formation dem eingefleischten Fan vielleicht noch gewöhnungsbedürftig erscheint, machen sie auf musikalischer Ebene keine Experimente. Es dominieren einmal mehr elektronische unterfütterter Rock mit breiten Gitarrenriffs, die schön ins Antlitz drücken. Das Verhältnis zwischen Elektronik und Saiteninstrumenten gewichten sie dabei immer etwas anders. "Wut" (bei dem kein geringerer als Joachim Witt mitsingt) baut einige verquere And-One-Sequenzen ein, "Nur ein Mensch" schlägt für einen Moment gar eine New-Wave-Richtung ein, die aber nur zu Beginn verfolgt wird, um schlussendlich Altbekanntes abzuliefern.

Womit wir beim eigentlichen Problem von "Richter und Henker" landen: Oomph haben mit dieser ersten Platte nach Deros Abgang die Chance vertan, alte NDH-Zöpfe abzuschneiden und neue Wege zu gehen. Tatsächlich ergeht sich die Band vorhersehbare Songkonstrukte, die zwar tadellos produziert worden sind, aber wenig Nachhall besitzen. Wenn bereits zu Beginn mit "Wem die Stunde schlägt" verklausuliert, aber dennoch mit dem Zaunpfahl winkend auf Oomphs Werdegang und den Beginn des neuen Kapitels hingewiesen wird, erwartet man im Weiteren schon einen kleinen Überraschungsmoment.

Oomph wollen, und das ist in jedem der 12 Songs herauszuhören, ihren Markenkern weiter aufrecht erhalten, was aber angesichts der stereotypen Sounds und nicht minder schablonenartigen Paarreim-Texte immer schwieriger wird. Schließlich galt die Truppe einst als Vorreiter von NDH, mittlerweile sind sie zu ihren eigenen Epigonen verkommen. Diverse Besprechungen im Netz haben "Richter und Henker" in der Luft zerfetzt. So weit sollte die Kritik aber dann doch nicht gehen. Fakt ist: Das aktuelle Werk von Oomph ist ein typisches Wir-leben-noch-und-machen-weiter-Album, das im gesamten Bandkanon sicherlich nicht zu den Glanzlichtern gehört, sondern den Versuch darstellt, Stabilität nach den turbulenten Jahren zu schaffen. Ob Oomph zukünftig noch Aussagekraft besitzen werden, hängt vom Nachfolger von "Richter und Henker" ab.