One Vista - Changing Places

Kennt noch jemand die Band „No Comment“, die in den Neunziger Jahren zunächst mit EBM, anschließend mit druckvollem Electropop und zum Ende hin mit locker flockigen Popsongs für Furore sorgte? Ist deren Sängerin Franziska Kalb nach Großbritannien ausgewandert und hat eine neue Band namens „One Vista“ gegründet? Die ersten Vocals des Albums „Changing Places“, das via Scent Air Records direkt aus Russland weltweit vertrieben wird, erinnern nämlich frappierend an die liebliche, zuckersüße, zerbrechliche Stimme, mit der Franziska jedem donnernden Electrobrett eine harmonische Würze verlieh. Ein Blick in das Booklet sorgt für ernüchternde Aufklärung: Franziska bleibt weiterhin verschollen, stattdessen hat sich eine nachnamenlose Frau namens „Jules“ hinter das Mikro gestellt und gemeinsam mit Instrumentenmonopolist „Roger“ eine ganze Reihe extrem netter Lieder zum Mitträllern erschaffen. „Nett“ ist in vielen Rezensionen die kleine Schwester von „Scheiße“, doch ganz so hart darf man mit dem britischen Duo nicht ins Gericht gehen. Die seit zehn Jahren existente Kombo gibt sich alle Mühe, moderne Dance-Elemente mit erdigem Indie-Rock und radiotauglichen Akkordwechseln zu kombinieren und dadurch einen irgendwie „eigen“ klingenden Sound zu kreieren. Dies gelingt am Besten bei schnelleren Songs wie „Can’t Say That“, bei dem der Gesang mit hallenden Effekten verfremdet wurde und eine treibende Bassline die Struktur definiert. Auch das chillige „Too Often“ weiß zu gefallen, hier trifft orientalische Eurovision-Kompatibilität auf die frühen „Schiller“, wobei Jules Gesangspassagen von einer hohen Variabilität zeugen. Weniger spektakulär sind dagegen die gitarrenlastigen Beiträge. „Get Up“ animiert eher zum Hinsetzen und tiefen Durchschnaufen, bei „Not Scared“ bekommt man es mit Angst zu tun, „Ace of Base“ hätten zum „Life is a flower“-Comeback aufgerufen. Wer Kate Bush mag, sollte die HiFi-Anlage – oder worüber auch immer man heutzutage seine Musik genießt - bei „Never Let Go“ und „Nothing Else“ lauter stellen. Die Aufzählung großer, mittelgroßer und kleiner Vorbilder soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass „One Vista“ nur periphär an der Klasse der Referenzbands kratzt. In den besten Momenten des Albums swingt der Hörer optimistisch in seinem Sessel hin- und her, in den schlechtesten Momenten wird der Verdauungsvorgang in den heimischen sanitären Anlagen zum rühmlichen Ende gebracht. Franziska Kalb hätte für dieses Werk zwar mehr als „no comment“ übrig, eine echte Empfehlung dürfte sie aber nur jenen Interessenten aussprechen, die keine Probleme mit irritierenden Stilbrüchen innerhalb eines Albums haben.

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