Wer sich in der deutschsprachigen Electro-Szene bewegt – also dort, wo düstere Elektronik, trockener Sarkasmus und latent gesellschaftspessimistische Poesie an den Wänden kondensieren –, kommt an 'Oberer Totpunkt' irgendwie schon seit Jahren nicht mehr vorbei. Das Hamburger Duo um Bettina Bormann und Michael Krüger steht wie kaum eine andere Formation für eine Mischung aus rezitativem Sprechgesang, dystopischer Schärfe und diesem ganz speziellen „Wir beobachten die Welt, während der Rauch schon aus der Decke kommt“-Flair. Dass 'Oberer Totpunkt' sich in ihren Werken gern mit menschlichen Abgründen, Vergänglichkeit und gesellschaftlichen Rissen beschäftigen, ist bekannt; dass dabei trotz aller Finsternis immer wieder eine feine, bewusst trockene Humorlinie durchschimmert, macht sie für mich umso sympathischer. Nun erscheint mit 'Feuer' also ein Album, das den eigenen Kosmos noch einmal aus einer zugespitzten Perspektive beleuchtet: eine neu zusammengestellte Auswahl besonders treibender Stücke aus ihrem Repertoire, erweitert um frisches Material und klanglich so poliert, dass selbst Menschen mit Endzeit-Allergie vermutlich beeindruckt nicken müssten.
Musikalisch ist 'Feuer' so etwas wie der destillierte Aggregatzustand der Band: minimalistische, klare Elektronik, die nicht eskaliert, aber konsequent treibt, kombiniert mit dieser unverwechselbaren, fast klinisch ruhigen Stimme von Bettina Bormann, die jeden Satz so nüchtern setzt, als würde sie gerade eine verdeckte Einsatzbesprechung leiten – allerdings eine, nach der niemand mehr dieselbe Welt sieht. Mal wirken die Tracks tanzbar und dunkel pulsierend, mal eher wie akustische Monologe in einem Raum, in dem das Neonlicht flackert. Die Produktion bleibt dabei erwartet charakteristisch unterkühlt, ohne steril zu sein und schafft diesen typischen OT-Effekt: Man hört zwar elektronische Musik, aber man sieht gleichzeitig Bilder. Und zwar keine beruhigenden. Besonders spannend fand ich, wie selbstverständlich sich die neu hinzugefügten Stücke 'Maschinenherz' und 'Der Siebte Tag' einfügen – sie wirken nicht wie Fremdkörper, sondern wie zusätzliche Module in einem bereits funktionierenden System. Der Klang zieht Linien zu früheren Kapiteln wie '10 Grad Vor Ot' oder 'Stiller Zoo' und greift gleichzeitig Elemente jener späteren, analytischeren Phase auf, die oft mit der Band assoziiert wird. Dass das Album eine Auswahl ist, merkt man irgendwie kaum: Es wirkt wie eine kohärente Reise durch stilistische Schichten, die OT ohnehin immer im Portfolio hatten – nur diesmal besonders scharf gebündelt.
Auch dramaturgisch funktioniert 'Feuer' meines Erachtens nach erstaunlich gut. Die ersten Stücke locken mit einer Art unheilvoller Neugier, als würde man in einen Tunnel hineingehen, weil man unbedingt wissen will, was am Ende liegt. Danach folgen düster festliche Passagen, energetisch pulsierende Momente, dann wieder die klare analytische Kälte, die OT so meisterhaft beherrschen. Gegen Ende zieht dieses typisch frostige Finish auf, das sich anfühlt, als würde jemand einen Vorhang zur Seite schieben und man blickt plötzlich direkt auf die stillgelegte Zukunft. Und zwischendrin gibt es – man glaubt es kaum – mehrfach Stellen, bei denen ich tatsächlich schmunzeln musste. OT haben diesen wunderbar trockenen Humor, der nicht erklärt, sondern einfach passiert. Wenn man diesen Humor sieht, wirkt die Musik weniger wie Finsternis pur und eher wie ein realistischer Blick auf eine Welt, die manchmal so absurd ist, dass man sie nur mit kalter Präzision kommentieren kann. Für mich persönlich ist genau das der Reiz: Es ist düster, ja – aber nie dumpf. Es ist ernst – aber nie unerträglich schwer. Es hat Haltung – aber keine Predigt. Und das macht 'Feuer' zu einem Album, das ich mehrmals hintereinander hören konnte, ohne dass meine Stimmung in den Keller ging. Im Gegenteil: Es fühlt sich an wie ein kontrolliertes Abbrennen unnötiger Gedankenschwere.
Im Fazit bleibt mir zu sagen, dass 'Feuer' für Fans von 'Oberer Totpunkt' ganz sicher ein Pflichtkauf ist. Die Zusammenstellung bringt vieles zusammen was die Band über die Jahre ausgemacht hat und ergänzt elegant mit Neuem. Für Neueinsteiger ist es zudem ein hervorragender Startpunkt: klar, konzentriert, repräsentativ und mit ungefähr der Dosis existenzieller Düsternis, die man braucht, um zu verstehen, was OT eigentlich tun. Menschen allerdings, die lieber warme Melodien, klassische Refrains oder betont emotionale Vocals suchen, werden vermutlich eher irritiert als begeistert sein – aber das ist völlig in Ordnung. 'Oberer Totpunkt' waren vermutlich nie dafür gedacht, Wohnzimmer gemütlicher zu machen. 'Feuer' ist ein Album für Leute, die gern genau hinschauen, die das Dunkle nicht fürchten und die sich nicht scheuen, auch mal mit einem humorvollen Augenzwinkern in den Abgrund zu schauen.
Medienkonverter.de
Oberer Totpunkt - Feuer
Faderhead - Into The Metadrome
Mit ‘Into The Metadrome’ kehrt ‘Faderhead’ einmal mehr in jene dystopisch-neonflirrende Welt zurück, die er seit Jahren mit beeindruckender Konsequenz erschafft, ausbaut, verwirft, neu formt und dann mit einem breiten Grinsen wieder in die Dark-Electro-Szene schleudert. Man könnte fast sagen: Es ist weniger ein Musikprojekt als vielmehr ein fortlaufendes Cyberpunk-Serial, bei dem jede neue Veröffentlichung ein weiteres Kapitel im Faderhead-Multiversum aufklappt. Irgendwo zwischen Clubästhetik, digitaler Identitätssuche und futuristischen Noir-Vibes fühlt sich Sami Mark Yahya ohnehin zu Hause. ...