Noyce™ haben sich Zeit gelassen ihr neues Album zu vollenden um nach eigenen Aussagen ein Werk auf den Markt zu bringen, mit dem sie zufrieden sind, das sie lieben. un:welt heißt der Longplayer und enthält elf neue Songs sowie den Club-Smasher ‚Our World’ von der ‚Our World in Coma’ EP, die bereits im Mai 2007 erschienen ist. Die inzwischen zum Quartett gewachsene Band liefert mit ‚un:welt’ wieder eine musikalische Breitseite mit Substanz ab, die sich von Song zu Song wandelt und damit eine Hörerschaft zwischen Frozen Plasma und Hocico anszuprechen vermag.

Mehr als sechzig Minuten lang beschäftigen sich die Düsseldorfer Elektroniker mit verschiedenen eher schwierigen Themen, denn nichts sagende Texte, das gab’s bei Noyce™ noch nie! Ob die Gleichgültigkeit der trägen Masse, die ihr Leben lieber bequem lebt als zu ihren Überzeugungen zu stehen, der Missbrauch von Religion zur Umsetzung politischer Ziele bis hin zur kriegslustigen USA mit mehr oder weniger gestandenen Präsidenten, alles wird im geeigneten Rahmen angesprochen. Doch neben den gesellschaftspolitischen Themen finden sich auch weitaus direktere Themen thematisiert: so zum Bsp. der Fall der 4jährigen Karolina, die vom Freund ihrer Mutter schwer misshandelt in einer Klinik den Folgen der hilflosen Ausgeliefertheit ihren Verletzungen erliegt. Harter Tobak, der mehr Mut erfordert als den Politik-Teil der Süddeutschen in Texte zu packen. Sollte man gar nicht meinen, denn die Musik ist zwar keinesfalls oberflächlich, aber auf jeden Fall eingängig.

Der episch-dramatische Beginn mit Goethe-Zitat lässt dies nicht vermuten, denn brachiale Trommelschläge und ambiente Soundfragmente laden eher zum Zuhören als zum Mitwippen ein. Das ändern sich dann jedoch schlagartig, denn ‚this world’ und ‚tagwerk’ sind Songs, die deutlich aufzeigen, was Heppner im letzten Jahr mit seinem Solo-Debut nicht geschafft hat: ergreifende Melodien, hervorragend gesungen und passend instrumentiert unters Volk zu bringen. Schon hier zeigen sich die Facetten von Schäfer, der einmal achtziger-inspiriert, melancholisch-verträumt intoniert, dann wieder nüchtern ohne Hallgerät auskommt und so einen Stil verfolgt, der am ehesten noch an Melotron erinnert. Der Titelsong ‚un:welt’ dann wird auch den letzten Zweifler von der Notwendigkeit dieses Releases überzeugen: eine Midtempo-Schönheit mit Flächen, interessant im Hintergrund perkussiv eingesetzten Drums, die dann in Zwischenteilen ganz dem hallenden Piano weichen müssen, um geschickt gesampleten Bush-Zitaten aus dessen Ansprache zur Lage der Nation aus 2005 zu weichen, die wiederum im Gesamtkontext des Songs zum Hinterfragen einladen.

Zwischen dem Fokus im intelligenten Elektro-Pop schiebt Goetz ein Noise-geladenes Zwischenspiel mit ‚nurzery’ ein, das krank-verzerrt gesungen auch der bleichen, schwarzgeschminkten Gemeinschft die Chance zum Tanz im Kunstnebel eröffnet. Druckvoll mit der nötigen akustischen Boshaftigkeit marschiert der Song voran, ohne dabei in der Lächerlichkeit manch anderer Band zu münden, die sich auf ähnlichem Terrain versucht. Stampfend, tanzbar wird die Stimmung sofort wieder von ‚the holy crusade’ aufgefangen. Was all diese Songs gemein haben sind die mit viel Erfahrung und Herzblut arrangierten Details, die stereophon mit Kleinigkeiten, die sich nach und nach auftun, auch nach der initialen Begeisterung noch mehr Sympathie zu Noyce™ aufbauen.

Dass das Artwork wieder umwerfend ist und somit den Release doppelt wertvoll macht ist selbstredend: der 3-Fold-Digipak enthält erneut handverlesene Fotos und wurde wie man es kennt mit Teillackierungen versehen. Es ist schon teilweise unheimlich wie Schäfer und Goetz, jetzt unterstützt von Krupatz und Poschmann, es schaffen, all diese Stile gekonnt zu bedienen, wo sich andere Bands schwer tun nur ein oder zwei derselben glaubhaft rüber zu bringen. Und schließlich fällt einem keine Antwort darauf ein, warum der rote Faden bei soviel Unterschiedlichkeit so deutlich zu spüren ist, aber darüber werden uns Noyce™ vielleicht im Interview mehr verraten… Neben ‚un:welt’ ist auch wieder ein ‚Dee Chai’ Promo erhältlich, diesmal sogar offiziell in den einschlägigen Downloadportalen. Es enthält eine X10ded Version von ‚inschallah’ und den Track ‚tag[traum]werk’, die beide für die Clubs in Richtung Tanzbarkeit überarbeitet wurden.