Da das Wissen um die Geschichte der vorliegenden Stücke nicht unerheblich wichtig ist für einen eventuellen Genuß drucke ich die auf den Seiten von ProductionB zu findenden Informationen zunächst 1:1 ab:
"Novocibirsk is the product of experiments conducted by Hervé Isar between 1982 and 1993 in his home studio.
Connecting a network of synthesizers and analog sequencers to test their communications...
The result is an artificial and hypnotic music, inspired by pionneers of the 70's and raw minimalism of the underground of the 80's...
An unique metronomic combination where long floating instrumental tracks follow nervous sequences and vocoder chants.
However, settings and programming on these analog devices without memory, were uneasy to reproduce.
That could be the end of the story, but we have picked up these cassettes and achieved a long cleaning, restoration and remastering process
We all know that the music world is filled with 'hidden treasures'[...]"
Soweit, so aha. Ich habe keine Ahnung, wer Hervé Isar wohl ist, ahne nun aber immerhin schon einmal, warum ich weder über das Projekt Novocibirsk (wenn es denn eines ist oder war) Informationen finde, noch zur Musik des Albums selbst. Die Frage sollte also sein: Lohnt es sich, ein Album zu erstehen (oder zunächst zu finden), das so sehr mit Informationen spart (abgesehen von einer dezidierten Auflistung aller für einzelne Tracks verwendeten Synthesizer)? Kommen wir also zu den musikalischen Qualitäten:
Ende der 70er und in den 80er Jahren komponierte John Carpenter einige Soundtracks für seine eigenen Filmprojekte. Erst aus der Not heraus geboren, dass sein frühes Werk "Halloween" ohne musikalische Untermalung nicht die erhoffte Wirkung auf die Testzuschauer hatte (und der von ihm komponierte Soundtrack schaffte das Gegenteil, machte aus dem Slasher einen Meilenstein und ist selbst Teil der Musikgeschichte geworden), dann aber auch aus Lust am Musizieren. Gerade sein verspielter Umgang mit quäkigen Synthflächen und die Freude an einem fast schon Gegenstück zu den aufgeblasenen Klangteppichen eines Vangelis oder Jarre brachte eine Vielzahl sehr eigenwilliger Filmuntermalungen hervor. Und genau deswegen muss ich an Carpenter und gerade die Soundtracks zu 'Escape from New Yourk', 'Assault on predict 13', 'The thing' oder 'Herr der Finsternis' denken! Vorliegendes Album könnte ein vergessener Carpentersoundtrack sein.... im Guten und Schlechten.
Da ich bei der Suche nach Album und Projektname keine wirklichen Informationen fand, dafür aber um so mehr Urlaubstipps der gleichnamigen Metropole, bleibt mir nur oben abgedrucktes Rudiment an Information von der Labelseite. 'Télévision 1945' lautet der Name des Albums oder der Zusammenstellung von Stücken, und ich weiß nicht, wie der Name zu stande kan, mein Kopfkino spielt circa 35 Jahre später. Minimalste Spurennutzung, die manchen Song von Kraftwerk orchestral wirken lässt, minimalste Abwechslung während der Lieder und (bis auf eine Ausnahme) rein instrumental muss man wirklich schon ein Faible für sehr schiefe Billigsynthies haben, um nicht gleich in die Flucht getrieben zu werden. Aber auch mir, als Freund solcher Klangreisen, fällt es schwer, wirklich positiv gestimmt zu bleiben. "Novocibirsk" versucht mit schiefen Sounds und übervocodertem Gesang (?) die Hörerschaft gleich zum Einstieg zu sieben, "Flugzeug" ist ein netter Song, der leider mindestens 2 Minuten zu lang geraten ist. Gleiches gilt im erhöhten Maße für "The wake of landscape", dass auf einem Carpenter Soundtrack 50 Sekunden getuckert wäre, hier aber fast schon epische 6 Minuten dahinschnarcht. "Hydrotexture" passt in Science Fiction Filmen zu den Szenen, in denen die ahnungslosen Astronauten das erste Mal auf Bauten oder ein Schiff einer anderen Spezies treffen und durch endlose und anscheinend unbewohnte Gänge irren. Auch der Song geriet endlos - ich bin wirklich Enthusiast, wenn es um solche Klänge geht, aber achteinhalb Minuten sind für einen Song ohne Film und damit positive Verknüpfungen viel zu lang - vor allem, da man es beim folgenden "Die Stadt" genau richtig macht und nach einer Minute endet. Hin und her gerissen bin ich bei "Train to Novocibirsk", einem der inhaltlich stärken und fast schon spannenden Songs des Albums: Ja, er hat eine Wirkung die ich ihm nicht absprechen möchte und es ist der einzige Song des Albums, bei dem ich nicht sofort eine Nebentätigkeit beginnen möchte, und dennoch sind es hier über 10 Minuten Spielzeit - dafür geschieht dann doch wieder zu wenig. In einem 3 Minuten Korsett hätte dieser Song wirklich gut ausgesehen. Das Titelstück ist ein Spoken Vocoder Word Stück, das so verzerrt ist, dass man nicht die leiseste Ahnung hat, was man da hört. Dreieinhalb Minuten Lebenszeitberaubung. Abschließend gehen Bahnfahrt und Iceland soweit in Ordnung und dauern immerhin nur etwas über drei Minuten.
Also als reines musikalisches Vergnügen ist vorliegendes Werk selbst für allesfressende Minimal-Fetischisten etwas mager. Nimmt man aber die Beschreibung ernst, so lauscht man weniger einer Sammlung einzelner Kompositionen durch Hervé Isar sondern das Produkt miteinander agierender analoger Synthies und Sequenzer. Ich habe ehrlich nicht genug Ahnung von der Materie, um zu sagen, ob das etwas Besonderes ist und wir die ersten Versuche der Matrix hören, mit uns in Kontakt zu treten. Aber vielleicht ist das Album deswegen zumindest für Technik- und Klangtüftler eine interessante Angelegenheit. Sehr seltsam, das Ganze.... Künstler/Handwerker, Entstehung, Ergebnis und Veröffentlichungspraxis lassen so viele Fragen offen.