Nick Cave & The Bad Seeds - Wild God

Nick Cave & The Bad...

Es ist ein spirituelles Album geworden. Und zwar eines, das man sogar ein bisschen von Nick Cave erwartet hat. Schließlich gerierte sich der Australier schon seit Anbeginn seiner Karriere als großer Sucher und Existenzialist, weswegen er besonders in der Schwarzen Szene viel Gehör und Anklang findet (Cave selbst nennt es ein "beängstigendes Missverständnis", dass man ihn in dieses Genre packen will). Im Laufe der letzten rund 15 Jahre sind seine Auseinandersetzung mit Religion das zentrale Leitthema seiner Songs geworden. 

Jedoch spielt er mit diesem Sujet auf sehr poetische Weise. "Dig, Lazarus Dig" von 2008 verfrachtet die gleichnamige biblische Figur (Lazarus ist der Bruder von Maria Magdalena) in das New York der 50er Jahre. Es war das erste Mal, dass sich der Musiker konkret mit dem "Buch der Bücher" auseinandersetzte.

Die Frage nach unserem Dasein und der Absurdität des Lebens dürfte sich für Nick Cave weiter zugespitzt haben, als er den Tod von den Söhnen Arthur (2015) und Jethro (2022) verkraften musste. Die Entwicklungen auf der Erde in den vergangenene Jahren haben den Musiker sicherlich ebenfalls beeinflusst. Doch sein Ansatz ist nicht, über die Schlechtigkeit der Welt zu greinen und sich in eine fatalistische Pose zu begeben. Vielmehr sehnt sich der Mann nach einer neuen geistlichen Durchdringung einer Gesellschaft, die es dieser Tage bitter nötig habt. So ist der Titelsong eine einzige Theodizee: Der "wilde Gott" hat sich von den Menschen abgewandt, wirkt altersmüde und kraftlos. Spiegelbild unserer Gesellschaft, die ohne Religion einen wichtigen kulturellen Baustein verloren hat? Vielleicht! "Wild God" ist aber auch hier eine Herbeirufung einer neuen Kraft, eines neuen Geistes für eine orientierungslose Menschheit.

Daher sind die Songs - bei aller Gedankenschwere - von einer gewissen Feierlichkeit durchzogen. Das liegt vor allem am vermehrten Einsatz von räudigen Gospelelementen, wie bei "Frogs", dem vielleicht zentralen Stück des Longplayers. Auch hier zeigt sich Caves einzigartiges Bildverständnis. Das lyrische Ich kommt von der Kirche, entdeckt einen Frosch, der ins Ungewisse hüpft, um schlussendlich wieder im Wasser zu landen. Eine treffende Allegorie unseres Daseins: Wir sollten voller Neugier für das Leben sein und sich nicht vor ihm fürchten.

Dass er bei Songs wie "Cinnamon Horses" und vor allem "Conversion" ganz tief in die Gospelkiste greift und den jubelnden, von Bläsern und Streichern überzogenen Klang fast schon überspannt, ja geradezu ins Manische abdriftet, ist einerseits vielleicht des Guten ein Hauch zu viel, wirkt aber andererseits wie die Selbstvergewisserung eines Musikers, der das Leben weiterhin umarmen will, egal, wie viele Steine es ihm auf seinen Weg legt. Nick Cave nimmt den Schmerz und die Trauer an und erschafft daraus eine Kunst, die nachhallt.

Wie bei "O Wow O Wow (How Wonderful She Is)", einer rührenden Liebeserklärung an seine ehemalige Lebensgefährtin Anita Lane, mit der Nick Cave auch zusammengearbeitet hat. Hier ist die Trauer über die 2021 verstorbene Künstlerin in jeder Note zu hören. Aber auch die Freude, dieser Frau begegnet zu sein. Und wenn am Ende des latent elektronischen Indie-Sound Anita Lane über eine Telefonaufnahme zu hören ist, wie sie lachend über ihre Arbeit an "From Her To Eternity", dem Debüt der Bad Seeds, erzählt, scheint sie für einen Moment wieder ganz nah beim Australier und beim Publikum zu sein. Die Transzendenz findet ihren Weg.

Wie Nick Cave selbst im Interview mit der Zeitschrift "Galore" erklärte, war seine Beziehung zur Religion bereits zu Zeiten von The Birthday Party vorhanden. Allerdings konnte die Auseinandersetzung mit ihr nicht stattfinden. Da sei es wichtiger gewesen, sich morgens und abends einen Schuss zu setzen. Von diesem selbstzerstörerischen Trip ist er seit langem Weg. An anderer Stelle erklärte er mal, dass das Leben ohne Drogen zwar nicht mehr Spaß mache, aber es wirke alles viel klarer. Von dieser Klarheit des Erschaffers profitiert auch das Kunstwerk, das bei mehrmaligem Hören immer mehr an Intensität gewinnt und den Eindruck vermittelt, dass in seiner Musik die Erlösung für die Menschheit verborgen liegt.

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