Erfahrungsgemäß kommt die Gelassenheit mit fortschreitendem Alter. Worüber man sich in jungen Jahre herrlich den Kopf heißreden konnte, verliert im Laufe der Zeit an Intensität. Trug man einst die Weltumsturzpläne in sich und betrat als Stürmer und Dränger mit voller Energie die Bühne des Lebens, werden nun Themen mit einer gebotenen Distanz und unter Berücksichtigung des eigenen Erfahrungssschatzes neu bewertet und weitsichtiger durchdacht. Das bedeutet natürlich nicht, dass man alles mit stoischem Gleichmut aufnimmt. Auch im fortgeschrittenen Alter kann man sich aufregen.

Wer das Talent besitzt, seine Wut in künstlerische Energie umzuwandeln, schafft es dann wie Justin Sullivan, über Dekaden Relevanz zu besitzen. Der Sänger der New Model Army verstand sich zwar nie als politisch motivierter Musiker, doch besitzen seine bekanntesten Songs "No Rest For The Wicked" und vor allem "51st State Of America", einem Protest-Song par excellence, immer eine gesellschaftskritische Note.

Seit Beginn der 2020er "tanzt unsere Welt mit sich selbst schon im Fieber", wie weiland Karat im Song "Der Blaue Planet" orakelte. Seitdem haben New Model Army auch nichts mehr Neues veröffentlicht; das letzte Album "From Here" erschien 2019. Dementsprechend ist die aktuelle Scheibe "Unbroken", übrigens schon Album Nummer 16, voll von Anspielungen auf das, was die Welt die vergangenen vier Jahre umtrieb.

So zelebriert der Opener "First Summer After" unter knackigen Bassläufen die wieder gewonnene Freiheit, nachdem Corona über einen langen Zeitraum uns die Luft abgeschnürrt hatte - pathologisch aber auch mitmenschlich betrachtet. Dass Justin, der auch schon stramm auf die 70 zugeht, immer noch genügend Feuer besitzt, wird an der Wuthymne "Reload" deutlich, wo er in stakkatohaftem Sprechgesang ganz deutlich macht, was momentan unter dem "Union Jack" Banner falsch läuft.

Musikalisch begibt sich die Band einmal mehr in den sicheren Independent-Hafen. Kenner der Gruppe werden sicherlich ihre Freude daran haben, dass sich die New Model Army kaum auf klangliche Experimente einlässt, sondern einen gradlinigen Sound rausbläst, der im Grunde die Quintessenz dessen bildet, was als Alternative-Rock immer recht schwammig umschrieben wird.  Das bedeutet auf der anderen Seite natürlich, dass einige Stücke in ihrer stilistischen Ausrichtung auch etwas vorhersehbar sind. Die Energie und Spielfreude der "Armee" bleibt aber nach wie vor hoch.

Dann und wann jedoch ploppen sie auf, die kleinen Momente, die einen die Augenbrauen positiv verwundert hochziehen lassen. Zum Beispiel bei "Coming Or Going", einem rockigen Stampfer erster Güte, aber auch bei dem biblisch angehauchten "Idumea" zum Ende des Albums hin, das mit ein paar wuchtigen Tribal-Drums eine ganz andere Stimmung provoziert und sich als ein intelligent gesetzter Kontrapunkt zum Rest von "Unbroken" ausnimmt.

Justin und seine Mitstreiter sind also immer noch "on fire", was sich zugunsten eines positiven Hörgenusses auswirkt. Auch wenn an manchen Stellen erkennbar ist, dass New Model Army schon eine geraume Weile im Musikzirkus mitturnen, können sie immer noch problemlos mit den jungen Hüpfern mithalten.