Assemblage 23, Tom Shears vordergründiges Projekt, wird dem einen oder anderen sicher bekannt vorkommen, besser gesagt in guter musikalischer Erinnerung sein. Für all diejenigen, die noch am Grübeln sind, nenne ich Schlagworte wie "Contempt", "Failure" oder "Storm". Ja, wieso nenne ich Assemblage 23 (A23) hier als "vordergründiges" Projekt? Es gibt mindestens genauso lange, nämlich seit 1995 ein weiteres musikalisches Kind, was sich da "Nerve Filter" nennt. Warum hat man nun noch nicht eher von diesem weiteren Projekt gehört? Nun, mit A23 war Tom Shear einfach 100% ausgelastet und deshalb gab es nie große Freiräume für weitere parallele, musikalische Entwicklungen. Es gab zwar einige Remixe und eine kleinere Anzahl von Tapes, aber der Erfolg von A23 ließ nicht mehr zusätzlichen freien und kreativen Raum für ein 2. Projekt zu. Nach Fertigstellung von "Storm" nahm sich Tom aber mehr Zeit für "Nerve Filter", denn er hatte Lust diesen neuen und auch musikalisch völlig anderen Weg weiter zu ebenen. Schon nach dem ersten Track der "Linear"-Scheibe suchte ich nicht mehr nach musikalischen Vergleichen zu A23, auch nicht im kleinsten Detail, denn sie existieren einfach nicht. Man vermutet einen völlig anderen Komponisten hinter diesem Werk. Weiterhin stellte ich im fortgeschrittenem Hörstadium der CD fest, dass man eine Zugänglichkeit wie man sie bei A23-Veröffentlichungen sonst gewohnt war, hier nicht findet. Der doch etwas experimentellere Sound ohne klare Linien traff meinen Geschmack vorerst nicht. Schnell war die CD irgendwo zwischen anderen Silberlingen im Regal verschwunden. Später nahm ich mir doch noch einmal ein Herz und ließ mich ein weiteres Mal auf Tom Shears Soloprojekt ein. "Linear" bewegt sich auf vielerlei, größtenteils düsteren musikalischen Pfaden, wie z. B. Drum’n Bass, Ambient oder Breakbeat. Man hat das Gefühl Tom wollte einfach mal etwas Anderes machen, Abstand zu A23 gewinnen und einen Ausgleich zur bisherigen Arbeit finden. Mit "Nerve Filter" stellt er jedenfalls ein umfangreiches Kontrastprogramm gegenüber A23 auf. Auch die Geschwindigkeit variiert bei den 10 Tracks stark. Einmal wird schneller und tanzbarer Breakbeat mit Acid-Sounds vermischt, beim nächsten Track gleitet man allerdings wieder, fast gefühlvoll, in einen sphärischen Raum mit leichten Chillout- oder Ambientrhythmen. Dann mischen sich jedoch wieder harte Beats mit minimalistischen. Oftmals untermalen weibliche und männliche gesprochene Samples die bedrückende Atmosphäre, um eine gewisse Ausdruckskraft beim Hörer zu erzeugen. Sehr schön arrangiert finde ich Stück 8 "Beneath a bed of wet leaves”, was durch die mäßigen Beats und leichten Pianoklänge, untermalt von einer interessant verzerrten Kinderstimme, in die Kategorie "Besonders hörenswert” fällt. Zum Sonnenuntergang auf der heimischen Terrasse oder zum abendlichen Cocktail gönnt man sich dann in bester Chillout-Manier den Track "Sun rise", dem man unbedingt seine Aufmerksamkeit schenken sollte. Im Fazit stelle ich fest, es gibt keinen Roten Faden, keine Linearität, keine herausragenden einprägsamen Melodien, ja sogar keinen typischen Stil der sich durch dieses Werk zieht. Dennoch möchte ich diesem Album keine Langweiligkeit unterstellen. Nein, es ist eher die Undefinierbarkeit die man sonst gar nicht von Herrn Shear’s Werken gewohnt ist, die "Linear" auf ungewohnte Art und Weise interessant macht. Tom tritt mit dieser musikalischen Produktion definitiv aus dem Schatten von A23 und begibt sich, wenn auch gesangslos, mit "Nerve Filter" auf eine neue Reise. Fakt ist, wer Assemblage 23 - Sound sucht liegt hier völlig falsch und sollte die Finger von der Scheibe lassen, denn eine Enttäuschung wäre das endgültige Fazit. Wer jedoch Tom Shears "andere" musikalische Seite kennen lernen will, sollte sich mal die Hörproben auf www.nervefilter.com gönnen.