Bands mit audio-visuellem Gesamtkonzept bieten häufig einen Mehrwert gegenüber den Performern, die durch zottelige Haare und Hobbit-Gesicht wie bei Keane, nackten Bierbäuchen wie bei Container 90 oder ungekämmten Achselhaaren wie bei der Nena der Achtziger auffallen. Klar kann das auch bös ins Auge gehen wie dieser Tage bei Extize, den kunterbunten Cyber-Tubbies mit Möchtegern-Underground Appeal. Mergel Kratz hingegen bieten in dieser Hinsicht echt mehr! Laszivität in Schwarz und Weiß mit Schneebrille und Armbinde stehen fast im Vordergrund, wäre da nicht die schneeweiße Katze Iso, die letztlich der geheime Star des Götheburger Electro-Ensembles zu sein scheint und auf dem Album Cover mit katzengerechter Gasmaske abgebildet ist. Mindestens so cool wie Joel Nygren und seine beiden Gespielinnen Julia Meller und das Fetish-Model Angelica Klüft, die übrigens für Design und Kostüme verantwortlich zeichnet, posiert die schneeweiße Electro-Muschi also als viertes Band-Mitglied auf den Promo-Fotos der Band. Schwenken wir zur Musik: denn schöne Menschen in geschmackvoll anmutendem Lack und Leder alleine machen noch keine gute Veröffentlichung. Gitarren haben hier von vorneherein nichts zu suchen und ein reguläres Schlagzeug ist ebenso überflüssig. Mehr als acht Spuren sind wie bei ‚Prisoner’ oft nicht nötig, denn die Töne aus der Konserve werden sehr bewusst und sparsam eingesetzt. Singen dürfen dabei Nygren und Klüft, wobei die weiblichen Vocals eher quotenhaft als umfassend eingesetzt werden. Herrlich verzerrt in Klang und Ausdruck baut sich in ‚Serve The World’ eine Wand auf, die mehr zum wilden extatischem Zucken als zum schwarzgefärbten Tanz einlädt. Weniger kratzig, doch nicht minder kräftig kann die monotone Bewegung bei ‚Satisfy’ nachgeholt werden, das klassische Synth-Leads mit einbaut und so partykonformere Strukturen offeriert. Auch vertraut man auf den Vocoder der in ‚Fuglesang’ klassischen Electro-Klängen zur Seite steht, bevor der deutlich weniger modulierte Gesang einsetzt und einen Text mit Referenzen auf den Astronauten Christer Fuglesang preisgibt. Besonders hat es mir einerseits der Opener angetan, bei dem Frau Klüft es schafft mit Herrn Nygren zusammen Oldschool-Feelings aufkommen zu lassen, die ein Prise ‚Assimilate’ mit deutlich tanzbareren Assoziationen verbinden. Wer Alpha lobt muss auch Omega mögen und so ist ein zweiter herausragende Song ‚Abducted’. Beim letzten Song des Albums ist Midtempo die Waffe der Wahl um einen durchschlagenden Refain mit minimalen Strophen zu vereinen und so noch einmal ein ganz besonders beklemmend-süßes Stück elektronische Musik anzubieten, bevor der Spaß nach knapp vierzig Minuten leider schon vorbei ist. Vielleicht ist es auch gerade das Geheimnis, dass man sich aufs Wesentliche konzentriert und die Füller bewusst in einer Tonne im Keller des Sounduniversums verschwinden lässt. Gut durchdacht geht die zweite Generation des Projekts um Nygren an den Start. Mit Mergel Kratzer taucht damit ganz zurückhaltend eine der vielleicht besten Electro Platten des Jahres auf und macht vielen Anwärtern für die Jahrescharts harte Konkurrenz. Der ewige Kampf der Schweden und der Deutschen um den Titel ’Electro-Nation No1’ ist also noch lange nicht vorbei und sofern dabei solche Veröffentlichungen herauskommen, möge dieser noch lange anhalten.