Ein gekonnter Schachzug: Um sich noch mehr Luft für das nächste Album "Weather Underground" zu verschaffen, das im Frühjahr 2007 endgültig das Licht der Welt erblicken soll, bringen Massive Attack mal eben ein Best-Of-Album heraus. Ganz klar, dass auf "Collected" alle Hits der Formation enthalten sind oder sagen wir mal, das, was die Allgemeinheit für die Hits hält. Denn es allen Recht zu machen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Fans werden jetzt aufschreien und proklamieren, dass es gar keine schlechten Titel von Massive Attack gibt und insofern alle Hits sind. Dieser Bekundung mag man fast zustimmen, denn Massive Attack haben sich seit ihrem Bestehen und dem ersten Album "Blue Lines" eigentlich noch nie einen musikalischen Fehltritt geleistet. Durch ihren schnell wachsenden Bekanntheitsgrad und ihr Faible für das Ungewöhnliche waren ihre Grenzüberschreitungen stets heiß diskutiert, wurden Vermutungen und Mutmaßungen über etwaige Gastsänger und Gastsängerinnen geäußert und jeder Schritt vom gerade angewöhnten Sound weg, verdammt. "Blue Lines" war seinerzeit noch stark vom Dub-Reggae geprägt. Dass dieses Album eine bloße Zusammenstellung von verschiedenen Songs ist, hört man ihm deutlich an. Aber auch genau das macht seinen Reiz aus. Die beiden von diesem Album entnommenen Tracks "Safe From Harm" und "Unfinished Sympathy" zeigen das sehr deutlich. Wer gerät angesichts des absolut phantastischen "Unfinished Sympathy" nicht ins schwärmen und erinnert sich an das One-Take-Video, in dem Shara Nelson eine Straße entlangläuft. "Karmacoma" war da schon deutlich mehr aus einem Guss. Zu seinem Erscheinen wure die neue Musikrichtung Trip Hop, eine Mischung aus Hip Hop und Dub, gerade geprägt bzw. benannt. Unnötig zu erwähnen, dass Massive Attack einen wesentlichen Anteil an diesem Bristoler Sound haben. "Karmacoma" zeigte aber auch, dass Massive Attack nun als Band zielgerichteter arbeiteten und trotzdem mit verschiedenen Musikrichtungen liebäugelten. Der von Tricky und Robert Del Naja gesungene Song "Karmacoma" ist denn auch noch deutlich dem Dub zugewandt, während im bezaubernden "Protection" diese Avancen mehr versteckt sind. Außerdem bewiesen Massive Attack mit diesem Song wieder einmal ihr glückliches Händchen bei der Auswahl ihrer Gastsängerin Tracey Thorn. Ohne sie würde "Protection" wohl nicht die gleiche Wärme ausstrahlen. Ebenfalls mit einer hervorragenden Gastsängerin konnte auch das folgende Album "Mezzanine" aufwarten. Unvergessen das romantische "Teardrop", in dem im zugehörigen Video ein Embryo mit der Stimme von Elisabeth Fraser von den Cocteau Twins singt. Aber natürlich begeisterten Massive Attack auch mit ihren eigenen Stimmen. Das lasziv-düstere "Inertia Creeps" hätte ohne Robert Del Najas monotonen Sprechgesang nicht diese unterschwellig hypnotisierende Wirkung. Aber machen wir noch einmal einen Abstecher zu den Gastsängerinnen. Als für "100th Window" angekündigt wurde, dass Sinéad O'Connor darauf einige Songs singen wird, wurde sofort Kritik laut, diese Kombination würde nicht zusammen passen. Aber Massive Attack straften alle Lügen. Das Album reichte zwar nicht an den Erfolg von "Mezzanine" heran, war aber dennoch ein großer Triumph für die Band. Die Mischung aus Sinéads warmen Gesang und der dezent zurück gehaltenen Musik passte wunderbar, wie "What Your Souls Sings" zeigte. "Collected" verschafft einen schönen Überblick über das Schaffen der Bristoler. Für Fans, die eh schon alle Alben ihr Eigenen nennen, ist "Collected" jedoch keine lohnenswerte Investition, denn bis auf die neue Single "Live With Me" finden sich darauf keine neuen Songs. Ganz anders sieht es bei der Special Edition aus, der eine Hybrid CD/DVD beiliegt. Neben alles Videos gibt es hier einige Besonderheiten zu bestaunen. Neben Soundtrackbeiträgen wie "Danny The Dog" und dem erstklassigen Hip-Hop-Song "I Against I" finden sich hier unter anderem eine Demoversionen von "Silent Spring" mit Elisabeth Fraser, ein Remix für Madonna sowie zwei Versionen von "Incantations" und "Small Time Shoot 'Em Up ", die auf "100th Window" "Everywhen" und "Small Time Shot Away" heißen. Hier lohnt sich das Zugreifen allemal, denn das romantische "Incantations", das fast depressive "Bullet Boy" oder das von Debbie Clare engelsgleich gesungene "Joy Luck Club" darf man nicht verpassen. Mit dieser Sammlung wollten Massive Attack zwar die Zeit bis zum nächsten Album überbücken, aber mit "Collected" bekommt man definitiv Lust auf mehr und da kann die Zeit bis "Weather Underground" endlich erscheint, gar nicht kurz genug sein.