Vielleicht hat sich der/die ein oder andere in der letzten Zeit einmal gefragt, was eigentlich aus der Band Sanguis et Cinis geworden ist. Die Wiener Combo um das stets top gestylte Duo Eve Evangel und Celine Cecilia Angel hatte seit ihrer Gründung 1994 einen Senkrechtstart hingelegt und schnell eine große und stetig wachsende Fangemeinde um sich scharen können. Ende 2007 wurde Sanguis et Cinis zu Grabe getragen und Eve Evangel gründete wenig später Lolita KompleX. Schon der Name deutet an, dass die neue künstlerische Ausrichtung stark mit der Visual Kei- und J-Rock-Szene liebäugelt. Der Blick ins Booklet bestätigt die Vermutung. Eve Evangel, seine drei männlichen Mitmusiker und Sängerin nana haben sich aufgerüscht und aufgehübscht – ganz im Look, wie ihn das über die ganze Welt verstreute, styleaffine Visual-Kei-Publikum sehen möchte. Mittlerweile hat das Quintett bei echozone/Sony einen Plattenvertrag in den Kostümtaschen und sein Debütalbum „Le Cabaret des Marionnettes“ auf den Markt gebracht. Nicht unähnlich ihren japanischen Kollegen zelebriert die Band den Lolita-Hype mit hartem, melodischem Gitarren-Rock, der streckenweise fast schon in derben, schnellen Heavy Metal abdriftet. Auf Keyboard und Synthesizer wurde zugunsten eines handgemachten, direkten Rocksounds mit mehreren E-Gitarren, Bass und Schlagzeug sowie drei (!) Gesangsstimmen bis auf wenige kleine Passagen und Melodietupfer verzichtet. Auffällig und zugleich charakteristisch sind lediglich die kurzen Spinett-Einlagen. Von schmusigem „Lolli-Pop“ sind Lolita-KompleX auf jeden Fall weit entfernt. Deuteten das Styling der Band sowie deren Name nicht auf deren Japan-Affinität hin, würde man beim reinen Durchhören sogar eher auf eine „klassische“, aber experimentierfreudige Rockband mit Hand zur Dramatik tippen, die sich gern auch mal in schwarzmetallischen Gefilden tummelt. Japanisch ist eher selten zu hören, die Stücke sind zumeist auf Englisch gesungen, was dem Gesamtbild leider ein wenig abträglich ist. Wenn sich dann noch Rammstein-Anleihen wie bei „LausBub“ einschleichen, fragt man sich ernsthaft, ob man die Darbeitung unter gesundem Humor (die Kollegen aus Japan halten es in der Regel ja eher spassfrei, dafür umso depressiver) oder bereits unter „Peinlichkeit“ einstufen soll. Mit der Zeit steigen einem dann auch die variationsfreie Stimme von Lolita-nana und das metallische Geschrei von Eve Evangel zu Kopfe. Bei Track Nummer 5, „Vienna is Hell“, ist bereits die erste Schmerzgrenze erreicht. Ein paar Pausen von den sägenden Gitarren und dem prügelharten Schlagzeug hätten gut getan, aber vielleicht wollen die niedlichen Mädchen und Buben aus der Zielgruppe ja einfach nur hart rocken – und dabei endlich mal ein ganzes Lied am Stück mitsingen können. Fazit: Rock-Faktor 110%, an Originalität, Kreativität und Abwechlung mangelt es aber noch kräftig. Inwieweit sich europäische Bands überhaupt an J-Rock bzw. J-Goth heranwagen sollten, ist sowieso Geschmackssache. Das Risiko aber, die Sache peinlich zu vermasseln, ziemlich hoch … Lolita KompleX ist daran gerade nochmal haarscharf vorbeigeschrammt. Daran ändert auch der nicht unaufwändig gemachte Videoclip zu „Les Marionnettes“ nicht viel. Doch den Fans wird es gefallen, und das ist das Wichtigste! Einen kleinen Pluspunkt gibt's für das schöne Artwork von Cover und Booklet.