Identitätskrisen sind aktuell scheinbar voll im Trend – ob im Theater, auf Instagram oder im politischen Berlin. Vlimmer steigen hier direkt ein und liefern mit „Gleichbau“ den passenden Soundtrack für alle, die sich beim Blick in den Spiegel fragen: Bin ich das – oder war das wieder nur mein Algorithmus? Nach dem atmosphärischen Auftakt „Firmament“ zieht die zweite Single aus dem kommenden fünften Album die Hörer*innen tiefer in jene Zwielichtzone, in der Selbst und Maske ununterscheidbar werden.
Musikalisch bleibt alles irgendwie vlimmeresk: Eine Mischung aus Shoegaze-Grauschleier, flackerndem Industrial, melancholischem Post-Punk und eine Prise von Darkwave-Romantik, die klingt, als hätte man Boy Harsher versehentlich in einen The-Soft-Moon-Song teleportiert. Und dann hallt noch irgendwo eine Echo-Orgel, auf der Tropic Of Cancer ein paar Akkorde mit blutleeren Fingern klimpert. Das ist düster, das ist dicht, das ist hypnotisch – aber auch befreiend in seiner Offenheit. Der Text von „Gleichbau“ bringt das Kunststück zustande, Entfremdung mit einem tröstlichen Schulterklopfen zu versehen: „Innerlich doch gleich gebaut“ heißt es, nachdem zuvor das grüne Kleid der anderen zur fremden Uniform wird. Vlimmer schreiben keine einfachen Pop-Hooks, sie stellen existentielle Fragen im 4/4-Takt – und lassen Antworten offen. Das Ergebnis: ein musikalisches Paradoxon, das man gleichzeitig tanzen und therapieren kann.
Wer zur CD-Version greift, bekommt noch ein Sahnehäubchen für die bittere Torte: Vlimmers Cover von Ordinary World (ja, der Duran-Duran-Hit) erstrahlt in überraschend lichtem Gewand. Die Upbeat Version verpasst dem 90er-Klassiker einen neuen Puls – irgendwo zwischen Wehmut und Hoffnung, passend zum zentralen Motiv der Wiedererkennung im Nebel des Selbstverlusts. Wer also dachte, Vlimmer könnten nur Dunkelheit, wird hier angenehm überrascht: Auch in der Ordinary World lauert das Unheimliche – aber man kann immerhin dazu tanzen.
Und wer jetzt denkt, dass das alles nur digitaler Nebel sei – weit gefehlt: Für Sammlerinnen und Liebhaberinnen des haptischen Kults gibt es Gleichbau auch als streng limitierte CDr-Ausgabe. Handnummeriert, auf nur 15 Exemplare begrenzt und in handgefertigtem Sleeve ausgeliefert, mutiert jede CD quasi zur kleinen Kunstinstallation. Die Gestaltung ist auf jeder Disc individuell – keine gleicht der anderen, wie kleine Seelenabdrucke. Texte sind ebenfalls beigelegt, damit man beim Mitlesen in der eigenen Identitätskrise gleich mitschunkeln kann. Wer also noch ein echtes Artefakt für das Regal sucht: schnell sein – sonst bleibt nur die „Ordinary World“ des Streamings.