Der Begriff Anhedonie bezieht sich auf Menschen, die aufgrund einer psychischen Störung unfähig sind, Freude oder Lust zu empfinden. Ein grausiger Zustand, sind dies doch elementare Empfindungen, die die Wahrnehmung des Alltages stark beeinflussen und den Überlebenswillen stärken und ich bin froh, selbst in düstersten Zeiten ausreichend fern eines solchen Zustandes gewesen zu sein. Über psychische Störungen Witze zu reißen ist in meinen Augen oft vermessen und jeder Beteiligte an einem DSBM Projekt wird seine Gründe haben, diese Musik zu produzieren. Leider folgt aber ein „Aber“.

Das zweite Album des Trios aus Mexiko vereint so viele Elemente, die einen Kauf gänzlich obsolet machen, dass ich mir die Haare raufen könnte. Kann zum Beispiel endlich die Unsitte der Fotosessions mit Klinge in der Nasszelle enden? Nicht nur, dass dieser Effekt inzwischen so schockierend ist, wie rechtes Gedankengut bei einer Black Metal Band, nein, es ist auch einfach voll daneben. Die wenigsten an Autoaggression leidenden gehen für ungehemmte Sprudel-Freuden in die Dusche und betreiben Höhlenmalerei. Und entweder sind solche Cover echt und voll daneben, weil eine Vermarktung von Leidenszuständen oder sie sind gestellt und damit eine Bombe schlechten Geschmacks. Immerhin weißt dieses Cover auf das einzig Bemerkenswerte hin, das das unfassbar kreativ benannte Projekt Lifeless ausmacht: zwei Frauen sind an Bord und malträtieren Gitarre, Keyboard und ihre Stimmbänder. Doch was bei Turdus Merula zu einem kreativen und intensiven Erlebnis führt, ist an dieser Stelle ein Sammelpool der schlimmsten DSBM Fehler musikalischer Natur: Es gibt zunächst nicht ein Instrument, das irgendwie positiv heraussticht. Im Gegenteil, insbesondere das stumpfe Riffing, das mich in seiner Amateurhaftigkeit an das Wigrid Debut erinnert. Während aber Wigrid daraus einen Mahlstrom in die Depressionshölle kreierte, ist hier jeder Moment dem Bandnamen entsprechend. Fast schlimmer ist das Drumming, denn wie sagte es Dendemann so schön: „Stumpf ist trumpf“. Und wenn wir mal über die Vocals sprechen wollen: Nicht jeder kann effektiv, bewegend, beeindruckend oder krass kreischen. Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Lifeless setzen viel auf krasse Krassizität, das Jaulen will in Richtung der ersten Burzum Alben streben aber beeindruckt nicht, sondern geht mir gewaltig auf den Senkel. Und das ab und an im Hintergrund auftauchende Wehklagen ist ja soweit okay, aber eben auch deutlich nicht gut genug für eine Aufnahme. Weiter geht das akustische Verbrechen bei der Produktion, die keinerlei Gespür für Dramatik oder Lautstärkenregulation überhaupt zeigt. Und da sind auf dem Album nicht ein bewegender Moment, nicht eine aufrüttelnde Melodie findet, sind die 72 Minuten Spielzeit unerträglich lang.

Als Beispiele und Anspieltipps für Unverbesserliche wähle ich „Ashes of hopes and dreams“,  „Giving up everything“ und den Titeltrack. Die beiden Erstgenannten stehen schon einmal symptomatisch für die Katastrophe, die Albumtitel und Texte darstellen und die viele junge pubertierende Menschen sprachlich sensibler und aufrüttelnder hinbekommen könnten. Beim ersten Song, der trotz gerade einmal fünfeinhalb Minuten Spielzeit ewig zu gehen scheint, weil alles so plump ist, sind es die wehklagenden Angelic Voices, die mich in den Wahnsinn treiben – wurde das einmal gesampelt und dann 100x hintereinandergelegt oder hat einer der beiden Damen das echt eingesungen? Da kriegt man doch irgendwann einen Knacks. Und warum immer nur Ahaaaahaaaahaaaaaa Gesang? Es gibt so schöne Worte, die man singen kann. Der zweite Reinhör-Song beeindruckt damit, dass wirklich nichts passiert in den über 13 Minuten. Versteht mich nicht falsch, ich höre oft DSBM und ich weiß, dass sie die Dinge wiederholen müssen, aber normalerweise werden Nuancen verändert, um die Dramatik zu steigern, um zu bewegen. Pustekuchen. Und mit fast 17 Minuten ist der Titeltrack dann die Klopapierrolle unter den Titeln: Verdammt lang. Verdammt unbeeindruckend. Und an seinem Ende denkt man nicht mehr drüber nach. Allein die ersten drei Minuten fast reinem Klargesangs sind eine Herausforderung – für die Sängerin bei der Suche nach den richtigen Tönen und für den Hörer beim dabei lauschen.

Ich fasse zusammen: Amateurhafter DSBM ohne gute Ideen oder gut geklaute Melodien, schlecht umgesetzt und unangenehm produziert. Zu keinem Zeitpunkt bewegend, leider aber auch kaum zu ignorieren, weil oft (leicht) neben der Spur. Dazu ein fürchterliches Cover, das himmelschreienden Standard darstellt, der hoffentlich nie wieder auf einem Cover landet. Und zu schlechter Letzt ein ehemaliges Label (Vacula Records aus der Ukraine), dessen Symbol eine gelbstichige schwarze Sonne mit deutlichen Haken ist. Ja, vorliegendes Werk kommt über Talheim Records, aber ich schau halt auch gerne mal nach, wo Bands vorher unterkamen. Fassen wir also zusammen: Jede Zeile dieser Kritik war zu viel.

 

Lifeless

Anhedonia

 

31.03.2021

Talheim Records

 

https://open.spotify.com/album/1ezP9xBjcuGTRlBEsmMBSw

 

01. Emp-Ti-Ness
02. Ashes of hopes and dreams
03. Trapped in the void
04. Giving up everything
05. Anhedonia
06. Half-hearted
07. Time to go away from you
08. Something inside me dies