Lacrimosa - Alles Lüge

Lacrimosa - Alles Lüge

1993 war ein Jahr voller Magie. Nein, nicht weil das Internet noch nicht nervig langsam war (erst am 30. April 1993 gab das Forschungszentrum Cern das www für alle frei) und niemand wusste, was ein TikTok ist, sondern weil zwei Giganten die Welt erblickten: der Commodore Amiga 4000 und Lacrimosas "Alles Lüge". Während die eine Hälfte der Welt in pixeligen 16-Bit-Welten versank und versuchte, Elaine Marley mit Guybrush Threepwood zu verkuppeln, gab uns Tilo Wolff den perfekten Soundtrack für all jene, die sich bei jedem "Game Over" dachten: "Ja, das bin ich, auch im echten Leben."

„Alles Lüge“ ist quasi der lange verloren geglaubte Gothic-Zwillingsbruder des Amiga 4000: melancholisch, unvergesslich und ein bisschen düster, wie ein Game, bei dem der Endgegner die Steuererklärung ist. Während der Amiga mit seinen 8-Bit-Sounds Retro-Herzen höher schlagen ließ, zog uns Lacrimosa mit emotionaler Überdosis in den Bann. Es ist, als ob Tilo Wolff damals gesagt hätte: "Die Welt ist schon düster, lass sie uns musikalisch auch noch in ein schwarz-samtenes Gewand hüllen."

Der Song beginnt wie der Montagmorgen nach einem viel zu kurzen Wochenende – langsam, schleppend, fast schmerzhaft. Doch plötzlich reißen einen die ersten Gitarrenriffs aus dem Zombie-Modus. Es ist, als würde man in einer gotischen Version von "Das letzte Einhorn" aufwachen, nur mit weniger Glitzer und mehr Nebel. Nebel, der sich schwer um dein Gemüt legt, wie die Rechnungen, die du immer noch nicht bezahlt hast. Und dann kommt Tilo Wolff. Mit seiner unverkennbaren Stimme, die sich direkt ins Hirn und Herz bohrt. Fast so, als würde er sagen: „Hey, hör mal, das Leben ist Mist, aber auf eine epische Art und Weise!“

Der Song hatte damals – und hat heute noch – die einzigartige Fähigkeit, Leute von allen Seiten der dunklen Macht zu vereinen. Gothic-Girls, die sonst in ihren Samt- und Spitzenoutfits in der Ecke düster dreinblicken, schwingen plötzlich die Tanzbeine. Und die harten Jungs? Die, die sonst nur zu dröhnenden Metal-Riffs headbangen? Die konnte man heimlich dabei erwischen, wie sie zum melancholischen Beat ein dezentes, fast unsichtbares Kopfnicken vollzogen. Klar, zugeben würde das keiner, aber die Wahrheit ist wie bei "Alles Lüge" manchmal... nun ja... eine Lüge.

Was aber leider eher so die Stimmung killt, sind die Remixe auf der Single. Die wirken, als hätte man sie mal eben schnell in der Pause zusammengebastelt – nicht wirklich schlecht, aber auch nicht das, was man braucht, um nachts schlaflos vor Begeisterung aufzuwachen. Es ist so, als hätte jemand gesagt: "Komm, lass uns den Song noch mal durch den Mixer jagen", aber dann den Deckel nicht richtig draufgesetzt und die Hälfte daneben gekleckert. Dann gibt’s noch „Ruin“ als B-Seite. Ehrlich? „Ruin“ klingt ein bisschen, als wäre die Band während des Soundchecks mal kurz aufs Klo gegangen und der Praktikant hätte versehentlich auf „Aufnehmen“ gedrückt (Sorry Tilo). Klar, es hat seine Momente, aber neben „Alles Lüge“ verblasst er wie ein verblasstes Tattoo nach einem besonders wilden und langen Strandurlaub.

Ein weiteres wichtiges Detail: Auf dem Cover von "Alles Lüge" ist erstmals der Harlekin zu sehen, der sich zum ikonischen Bandlogo von Lacrimosa entwickelte und seitdem viele (oder sogar alle?) Albumcover ziert. Dieser Harlekin symbolisiert auf eine perfekte Weise den Kontrast zwischen Tragik und Theatralik, der sich auch in Lacrimosas Musik wiederfindet – eine Maske, die zwischen Lachen und Weinen balanciert, genau wie die Band zwischen Rock und düsterer Melancholie.

Fazit? Auch wenn die Remixe eher wie kalter Kaffee daherkommen und „Ruin“ so spannend ist wie ein verregneter Sonntagnachmittag, bleibt „Alles Lüge“ (m)ein Stück Musikgeschichte. In den 90ern füllte der Song die Tanzflächen und eroberte die Herzen von Goths und Metalheads gleichermaßen – auch wenn Letztere es niemals zugegeben hätten. Genauso wie der Amiga in Sachen Pixelkunst ein Klassiker war, liefert „Alles Lüge“ den perfekten Soundtrack für alle, die sich in den Strudel des Weltschmerzes stürzen wollen. Ein echter Klassiker – und das ganz ohne Game Over.

Lacrimosa - Alles Lüge
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