Sobald Tobias Hopp die Maschinen anschmeißt, um seine Gedanken in Songs zu verpacken, tut sich gefühlt jedes Mal das Tor zum Hades einen Spalt breit auf. Schließlich hört sich das gesamte Oeuvre seines Hauptprojektes Mortal Void wie ein nicht enden wollender Strom aus Wut, Schmerz und Trauer an. Seit den mittleren Nullerjahren veröffentlichte der Mann aus Fürstenwalde regelmäßig Alben nach klassischem Dark EBM Muster - verzerrte Gesänge, düstere Soundscapes und peitschende Beats inklusive. Sein Bekanntheitsgrad blieb bislang - auch aufgrund der Tatsache, dass er die meisten seiner Werke in Eigenregie und ohne große Werbung herausbrachte - eher gering.
So dürfte den meisten entgangen sein, dass neben Mortal Void auch noch das Projekt Krankheitssymptom als Hopps zweiter Kanal für seine musikalischen Ideen existiert. 2008 brachte er bereits ein Album raus: "Nullsummenspiel" heißt es und fokussiert sich auf deutschsprachige Texte, während der Sound weiterhin agggressiv, roh und brachial bliebt. Nach 17 Jahren kommt der Nachfolger auf den Markt - und es scheint gerade so, als wäre "Fehlproduktion" das eigentliche Debüt. Denn erst jetzt hebt sich Krankheitssymptom auch musikalisch von Mortal Void deutlicher ab.
Nach wie vor liebt es Tobias, harte und harsche Klänge auf seine Hörer loszulassen. Doch in Stücken wie "Irrläufer" und "Rückschrittsintervalle" überzieht er seine Lieder mit einer Eisschicht, die er aus frostigen Sequenzen seiner Synthesizer zieht. Die Wut vergangener Veröffentlichungen ist einer neuen Nachdenklichkeit gewichen, die auch daran zu erkennen ist, dass Tobias' Stimme wesentlich weniger verfremdet wurde und man den Menschen hinter der Musik deutlicher zu sehen bekommt.
In "Fehlproduktion" beleuchtet der Mann das Scheitern auf mehreren Ebenen, hervorgerufen durch falsche Entscheidungen. Dabei spannt er den Bogen von privaten Disputen ("Konfliktkonsens") bis hin zu den großen Desinformationskampagnen, die Hass schüren und die Menschheit spalten ("Verfallssyndrom"). Es ist überdeutlich: Tobias Hopp ist besorgt über die Entwicklungen unserer Welt und tut dies kund. Ohne große Metaphern oder Parabeln, sondern in klaren, expliziten Wörtern, die sich nichts und niemandem beugen außer dem Reimschema.
Dass Tobias' Lieder nicht nur bloße Posen sind, kann man an seinem Entschluss sehen, dass er dem Social-Media-Riesen Facebook den Rücken gekehrt hat und auf die alternative Plattform bluesky gewechselt ist. Krankheitssymptom setzt den moralischen Maßstab nicht nur an andere, sondern auch an sich. Die Frage, ob so eine Aktion nun sinnvoll sei oder nicht, sollen andere beantworten. Als starkes Zeichen verfehlt es seine Wirkung jedenfalls nicht.
Meistens jedoch sind die "Fehlproduktionen", die wir erleben oder selber erschaffen, vor allem zwischenmenschlicher Natur. Dieses Thema hebt sich Tobias bis zum Schluss auf und reflektiert darüber auf rührende Art und Weise in "Nullteilungsfehler". "Die Hoffnung, ein Relikt aus vergangener Zeit, so unecht wie das Lächeln auf den Fotos, da sind wir schon zu zweit, ich und die Hoffnung." In diesen fein geschliffenen Worten breitet sich die Trauer des Protagonisten aus, der aber weniger um das verflossene Glück lamentiert, sondern sich selbst bewusst macht, wie lange man sich eine vermeintlich glückliche Partnerschaft nur vorgemacht hat.
Krankheitssymptom gelingt mit "Fehlproduktion" eine anspruchsvolle Platte abseits gängiger Klangschemata. Es präsentiert Tobias Hopp als raffinierten Notentüftler und Durchdenker eines schwierig zu bearbeitenden Themas. Dieses Mal ist beim Projekt das Tor zum Hades nicht so weit aufgestoßen, aber es weht ein eisiger Wind zwischen den Pforten.