"Tramontane" von Kadaitcha hätte nur ein weiteres, qualitativ wie so oft einwandfreies Noise- und Post-Industrial-Album aus dem Hause Ant-Zen sein können. Doch zwei äußere Umstände machen dieses Werk dann doch wieder sehr speziell. Da ist zum einen die Tatsache, dass Kadaitcha aus der Ukraine stammt, was den zweiten Umstand bereits impliziert: Dort herrscht Krieg. Eingedenk dieser Fakten lässt sich in dem fünften Album der beiden Soundbastler Andrii Kozhukhar und Yurii Samson viel mehr herauslesen und -hören.

Wenn die staubig-körnigen Basssequenzen von einer verfremdeten Stimme durchkreuzt werden und die Rhythmen sich schleppend durch die Kompositionen hangeln, wird man das Gefühl nicht los, dass sie mitten aus den Krisengebieten ihre elektronischen Dystopien hinaus in die Welt schicken. "Fossil" könnte demnach wie die Vertonung eines Bombenhagels gedeutet werden. Die stakkatoartigen Störgeräusche muten wie das Abfeuern von Munition aus einem Maschinengewehr an, während die Stimme fatal an Throbbing Gristle erinnert. Beklemmend das alles  -  besonders, wenn die Lautstärkeregler nach oben gefahren werden und die fräsende Elektronik sich in der Magengrube breit macht.

Kadaitcha haben in den zehn Songs von "Tramontane" offensichtlich die alten Elektronik-Pioniere im Hinterkopf gehabt. In einer Zeit, als das Genre Industrial noch nicht verwässert wurde durch technoide Beats und auf böse getrimmte Trancemelodien, entstanden einst nicht nur Songs, sondern künstlerisch ambitionierte Werke, die nah am Performance-Charakter platziert wurden und mehr wie ein Teil einer Multimedia-Ausstellung anmuteten. Diesen Spirit finden wir auch bei Kadaitcha, die sich gegen stupende Diskothekenbeschallung vehement wehrt und die Songs als Einladung versteht, eigene Extremerfahrungen durch die organischen Momente dieser Maschinenklänge zu machen.

Bereits "Niello" schlägt die Brücke zur Frühphase von Cabaret Voltaire, wobei der Experimentalcharakter einer konzisen Komposition weicht. In erster Linie staubt, brodelt und blubbert es bei Kadaitcha, ihr Sound ist wie der rußverhangene Blick in den Himmel. Es brennt, es ätzt, es gibt kein Entkommen aus dieser tönernen Hölle. Manchmal schafft es das Duo aber auch, ihre ungezügelten Synthesizer zu domestizieren und in "Knife" sehr sparsam ausbrechen zu lassen, was der spannungsgeladenen Atmosphäre des Albums aber keinen Abbruch tut. Auch das abschließende "Sun" lässt es vergleichsweise ruhig angehen: redundante Echolot-Klänge zu breiten Flächen verleihen dem Endstück ein kontemplatives Momentum.

In der Regel jedoch verfahren Kadaitcha nach dem Prinzip "viel hilft viel". So drückt "Liars" dank dominantem Schlagwerk, grummelnden Bässen und Stahlwerkskrach  wie eine Dampframme aus den Lautsprecherboxen. Und auch "Insight" legt recht schnell nach noch meditativen Post-Rock-Gitarren einen Teppich aus dissonanten Riffs und ohrenbetäubenden Rückkopplungseffekten, die den Hörer an den Rande der Ohnmacht treiben.

Vielleicht ist es eine persönliche Antwort von Andrii und Yurii auf die unsicheren Zeiten, in denen die beiden leben. Vielleicht kann "Tramontane" auch als allgemeine Kritik einer aus den Fugen geratenen Welt gesehen werden. Vielleicht will Kadaitcha aber auch nur die suggestive Kraft elektronischer Musik wieder ins Gedächtnis rufen. Auf jeden Fall ist das Album, das unter derart schwierigen Bedingungen entstanden ist, auch so etwas wie eine Selbstvergewisserung und ihre Musik - trotz der klaustrophobischen Grundstimmung - der rettende Anker.