Es ist März 2023 und ich erkenne, dass ich unbewusst einen Fehler gemacht habe, als ich meinen Jahresrückblick für 2022 schrieb: Es kam ein Album heraus, das im Nachhinein sicherlich mit Tales under the oak um den Titel Album des Jahres gefochten hätte. Doch ich bekam es einfach nicht mit – und weil ich mich nicht ärgern will, gebe ich miserablen Algorithmen die schuld und schreibe einfach jetzt von diesem kleinen Juwel.

Bereits 2020 war ich ausgesprochen begeistert. Jonathan Hultén, ehemaliger Gitarrist bei Tribulation und nun immer mehr zur Kunstfigur mutierende, androgyne Gestalt ist in die Wälder gezogen, um Lieder des Debüts Chants from another place‘ und der EP ‚The dark night of the soul‘ noch mehr umzudeuten auf den neuen Jonathan Hultén. Denn es wird deutlich, dass diese Person in ihrer Entwicklung immer mehr bei sich ankommt und es ist spannend, dies musikalisch (und optisch) mitzuverfolgen. ‚The forest sessions‘ sind fast 40 Minuten zauberhaft-kitschigen Folks, der es vermag, so persönlich, so unbeeindruckt vom Außen, Hörende wie mich zu ergreifen und völlig mitzureißen. Viel zu lauschen gibt es zugegebenermaßen nicht, wenn es um instrumentale Abwechslung geht: Hultèns Stimme, Akustikgitarre, sehr dezente Keyboards und ein klein wenig Synthies. Alles ist perfekt abgemischt, um traumgleich zu wirken – gerade wenn es um den Gesang geht: „Leaving“ wird für mich zu einer unglaublich intensiven Erfahrung und der Gesang ist in meinen Ohren pure Perfektion. Damit sind wir auch schon bei einem der Höhepunkte, wobei ich ehrlicherweise man mehreren Wochen und noch viel mehr Durchläufen 9 von 10 Titel als Höhepunkt beschreiben würde und "Dance of the water spirits" bei Weitem nicht als schlecht bewerte - nur sehr skurril. Was an den "Forst sessions" wirklich beeindruckt, ist die Abwechslung, die auf dem Album vorherrscht, auch wenn Hultén doch so wenig bietet: Folk, skandinavischer Folk, der mich nicht nur einmal an den OST von Ronja Räubertochter erinnert, etwas Country und Western („Where the devils weep“), Synth-Wave Anleihen („The call to adventure (forest version)") und dann und wann ähnliche Töne und Stimmungen wie ich sie von Sopor Aeternus kenne. Es macht (mir) ungemein Spaß und ich werde nicht müde, das Album auf gesamter Länge immer neu zu entdecken und das….

….insbesondere, weil es ‚The forest sessions‘ auch in einer Version gibt, bei der auf einer DVD die Seltsamkeit noch ein klein wenig gesteigert wird. Denn Hultén hat innerhalb einer 24 stündigen Marathonsession zu allen Stücken ein Video aufgenommen. Und, wie der Titel es vermuten lässt, sehen wir dieses feenhafte Wesen an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten im Wald, orgelspielend, Gitarre spielend, singend, tanzend – es ist obskur und sicherlich für so manchen eher ein Grund zum Kopfschütteln: Eine stark geschminkte Person spielt bei Rauchstäbchen und Nebel in einem skandinavischen Wald nachts im Kerzenschein auf einer Orgel oder tanzt als Wassergeist auf einem Floß. Aber (für mich) ist gerade das faszinierend, denn Hultén wirkt dabei so natürlich, wie er sich eben fühlt. Jedes Video hat sein eigenes Thema, die Lieder werden durch kurze gezeichnete Sequenzen und Textfragmente miteinander verbunden (weswegen die DVD auch der reinen Sichtung der Videos auf Youtube vorzuziehen ist). Es ist nicht großes Kino, sondern eher ein spezielles, aber wunderschönes Geschenk Hulténs an seine Fans und ich kann all denjenigen, die das verlinkte Video berührt nur dringend dazu raten, dem Album als Ganzes eine Chance zu geben. Es könnte eine Liebe entstehen!


Jonathan Hultén - The forest sessions

23.12.2022


https://jonathanhulten.com/https://jonathanhulten.com/


Wasteland (forest version)

Leaving (forest version) 

Holy woods (forest version) 

Where devils weep (forest version) 

...and the pillars tremble (forest version) 

The call to adventure (forest version)

The mountain (forest version) 

Dance of the water spirits

The call to adventure (roadburn version)

A dance in the road (roadburn version)