Mit 65 Jahren ist Joachim Witt ein alter Hase im Musikgeschäft. Und wenn man über Jahrzehnte aktiv musiziert (in Witts Fall immerhin seit 1973) verwundern Entwicklungen im Sound nicht sonderlich. Doch diese Diskographie ist voller unerwarteter Brüche, allen gemein nur Witts Faible für eigentümliche Texte. Nur 2 Jahre nach dem epischen ‚Dom‘ und der Single „Gloria“, die vor allem durch das kontroverse Video viel Aufsehen erregte, erscheint nun „Neumond“ und damit ein weiterer Stilwechsel. Rock, Pop, Neue Deutsche Welle, Neue Deutsche Härte und pompöse Elektronik – Joachim Witt entschied sich schon für so einige Stile. 2014 überrascht er mit poppiger und tanzbarer Schlager-Elektronik, die so ganz unerwartet aus den Boxen dringt. Schnellere Tanznummern wie die ersten Single „Mein Herz“ oder „Die Erde brennt“ wechseln sich ab mit Schmachteschlager („Strandgut“), basslastigen Elektronummern („Spät“) oder Balladen wie „Bis ans Ende der Welt“. Die Programmierung ist dabei zu jedem Zeitpunkt professionell, treibend und bietet ein schönes Spektrum, das auch etwas mehr Härte (wie in „Dein Lied“) zulässt. Ist man auf diesen Sound eingestellt wirkt ‚Neumond‘ zwar wunderschön programmiert, zugegebenermaßen aber musikalisch wenig spannend – man nehme nur „Mein Herz“, zu dessen sehnsüchtiger Melodie sich mit steigernder Dramatik Pauken gesellen. Oder „Strandgut“, dessen Melodie und Gesangslinie (vor allem im Refrain) auch gut von Matthias Reim hätte stammen können. Melodien, wie man sie oft gehört hat. Stilmittel, die sich (bei anderen Bands) schon oft bewährt haben. Doch ein Witt Album lebt vor allem von den Texten. Und auch 2014 schafft er es, mit seiner schönen und charismatischen Stimme Texte ins Mikro zu raunen, die mit scharfer Schneide die Befürworter von den „Kitsch!“-Unkenrufern teilen wird. Beginnend mit dem noch düster anklingenden „Aufstehen“, in dem ‚wir‘ noch eisern sind bietet Witt uns ein Konglomerat unterschiedlichster Motive. Sicherlich werden viele schon bald den Refrain von „Die Erde brennt“ mit Inbrunst mitsingen und man kann für jede Stimmung sein Lied auf der CD finden. Doch Witt schafft es wieder, mit eigentlich klaren Bildern, die er beschreibt, das Kernthema in fast jeden Liedes unausgesprochen zu lassen, damit jeder Hörer die Worte auf sich übertragen kann: Warum brennt die Erde? Warum braucht die Person in „Bis ans Ende der Zeit“ Trost? Was ist dem ehemals Glücklichen in „Strandgut“ wiederfahren? Warum ist die Person aus „Dein Lied“ fort? Witt spielt mit einer Nicht-Greifbarkeit, die dem geneigten Hörer erlauben, sich angesprochen zu fühlen. Doch nutzt er dabei bittersüß, kitschige Motive und reimt, dass es manchmal schmerzt (wie zu Beginn von „Frühlingskind“): "Wenn der Winter deine Seele nimmt Tag und Nacht sind kalt und leer Immer öfter eine Träne rinnt Und das Herz wird dir so schwer" ‚Neumond‘ wird Fans erfreuen, die Leichtigkeit der Melodien wird sicherlich auch mehr Menschen ansprechen (vor allem Pop- und Schlagerfreunde, die mit der Schwere oder dem Pathos vergangener Alben wenig anfangen konnten). Das ist wünschenswert, auch wenn damit einhergeht, dass das Album musikalisch und textlich wenig Aufregendes zu bieten hat, sondern bekannte Motive und Melodien nur geschickt zusammenfügt. Mir ist es auf Dauer zu kitschig und zu zahm, auch wenn einige Lieder gezündet haben. Mal sehen, was uns der ehemalige „goldene Reiter“ (der sich im CD-Inneren auch zu Pferde zeigt – Daumen hoch), in den kommenden Jahren noch so präsentieren wird. Eine Sonderedition bietet als Bonusmaterial übrigens ein Duett mit Lisa Gerrard. Sicherlich eine spannende Geschichte, die mir aber nicht zur Verfügung stand.