Auf ‚Becoming X’, dem ersten Album der Sneaker-Pimps war Chris Corner anscheinend noch auf der Suche der Unbekannten in der Gleichung seines musikalischen Lebenswerkes. Beim Lösen der Aufgabe kürzte er nach der Trip-Hop-geladenen Ausgangsgleichung zunächst einige der elektronischen Komponenten sowie Sängerin Kelly Dayton aus dem Konzept und gelangte zu den eher Gitarren-orientierten Alben ‚Bloodsport’ und ‚Splinter’. Mit ‚Kiss and Swallow’, dem Solo-Debüt scheint nun aber die Suche nach seinem wahren Ich gelöst zu sein: Die Sounds aus dem Computer sind wieder verstärkt da, allerdings weniger mellow sondern eher minimalistisch und freaky und setzen konsequent das fort, was mit den letzten beiden Sneaker Pimps Alben begonnen wurde... Der androgyne Bursche mit strähnigen Haaren und der schwarzen Kriegsbemalung mischt dabei Gesang, wie man ihn eher aus dem Alternative/Independent-Bereich kennt mit gekonnt dick aufgetragenen, wenigen Instrumentalspuren. Dieser Ansatz geht nicht in allen Stücken auf, so aber doch in den meisten. Die Single‚Kiss and Swallow’, zugleich der Opener des Albums, dürfte aufgrund der beschriebenen Mischung einer breiten Hörerschaft gefallen. Kraftvoll stampfen die Beats unterlegt mit Sounds, wie man sie nur durch Knob-Twiddling, also dem Drehen der kleinen Knöpfchen am Mischpult hinbekommt, kraftvoll vor sich hin. Etwas kantiger aber zugleich mitreißend setz sich dieser Ansatz in ,Sailor' und ‚Your joy is my low’ fort und findet in ‚You stick it in me’ seinen Höhepunkt. Gesanglich bewegt sich Corner dabei zwischen Matthew Bellamy (seines Zeichens Sänger von Muse) und Marc Almond, wie wir ihn aus Soft Cell Zeiten kennen. Sehr viel ruhigere und poppiger Saiten werden in ‚Simple Girl’, ‚Mercy’ oder ‚Missile’ aufgezogen ohne dabei die Songs langweilig oder gar glatt wirken zu lassen. In die besseren Achtziger zurückversetzt fühlt man sich bei ‚Skin Vision’ und ‚Heat Wave’, das gute fünf Minuten kleine Salven aus dem Sequencer abfeuert. Schön – das! Etwas zu überdreht wird für ‚White suburb Impressionism’ stimmliche Unterstützung von Sue Denim – sonst mit Robots in Disguise unterwegs - angefordert. Krachig übersteuerte Gitarren und die schrille Gesangsspur passen nicht so richtig, so dass der Track eher zu den schwächeren Nummern des Albums zählt. ‚Kiss and Swallow’ ist sicherlich nicht das Album des Jahres, bewegt sich aber auf jeden Fall im oberen Drittel der Veröffentlichungen in 2004. Die Mischung macht’s: Corner lässt sich musikalisch noch immer in keine Schublade stecken und beweist, dass Crossover auch im elektronischen Bereich funktioniert. Obwohl bei den Sounds selbst noch etwas mehr Abwechslung gut getan hätte, gibt es so trotzdem das Prädikat ‚wertvoll’!