Herbst9 sind ein Fenster zu einer anderen Welt. Mit seinen Alben lässt das Duo jedes Mal aufs Neue versunkene Städte und längst untergegangene Kulturen auferstehen und beschwört sogar alte Götter wieder herauf. Die Reise, die auf den Vorgänger-Alben "Buried Under Time And Sand" und "The Gods Are Small Birds, But I Am The Falcon" begann, findet nun mit dem Doppelalbum "Ušumgal Kalamma" Höhepunkt und Abschluss zugleich. Die Sumerer und Akkader stehen diesmal im Fokus der Zeitreise, wir bleiben also wie bei "The Gods…" in Mesopotamien. Die sumerische Keilschrift ist die bis heute älteste bekannte Schrift. Durch die gefundenen, schriftlichen Dokumente wissen wir heute viel über die Sumerer, kennen Beschreibungen ihrer Städte, ihrer Götter und heiligen Städten sowie einige ihrer Geschichten. Herbst9 extrahierten aus diesem Wissen vor allem die mythologischen und religiösen Aspekte, um sie auf "Ušumgal Kalamma" wieder zum Leben zu erwecken. Und das schaffen Henry Emich und Frank Merten in einer solch beeindruckenden Intensität, dass "Ušumgal Kalamma" schnell zu mehr wird, als nur Musik. Es wird Geschichtsbuch, Heiligtum und archaisches Sprachrohr. In englischer und semitischer Sprache (Akkadisch), mal mit männlicher, mal mit weiblicher Stimme erhält der Hörer Nachricht von Katastrophen und göttlichen Tragödien. Zudem reisen wir 4000 bis 5000 Jahre zurück in die Zeit einer der ersten Hochkulturen überhaupt. Herbst9 transformieren die Geschichte der Sumerer und Akkader zu einem mehr als lebendigen Tondokument. Geschichten über die Göttinnen Inanna und Ereškigal werden zu ritualistisch-monumentalen Songs, die mit Trommeln, Gongs und Glocken die nötige Lebendigkeit, durch dunkle Drones die relevante Mystik erhalten. Der Grundton ist dabei aber nicht ganz so düster, wie er es etwa noch auf "Buried Under Time and Sand" war. Während die erste CD mehr den rituellen Aspekt abdeckt, steht bei der zweiten der Ambient mehr im Vordergrund. Diese Trennung ist jedoch nicht absolut, sondern eher subjektiv empfunden. Trommeln, die bisweilen wie Paukenschläge klingen, helles Glockenläuten, Sprachsamples, die sich wie rituelle Beschwörungen anhören, atmosphärische Melodien oder die Klänge einer Zither werden zu einem exotischen und manchmal sogar bedrohlich klingenden Mix vereint, der mit viel Hall unterlegt, tatsächlich wie das Echo längst vergangener Zeiten erschallt. Auffällig an "Ušumgal Kalamma" ist die offensichtliche Symbiose, die Herbst9 mit ihrem Thema eingegangen sind. Nichts klingt gestellt oder bemüht. Das Duo gibt seinen Songs viel Zeit, sich zu entwickeln und ihre Wirkung zu entfalten. Trotz vieler Geräusche, Instrumente und elektronischer Klänge wirkt das Doppelalbum nicht nur überzeugend, sondern geradezu authentisch. Alles scheint genau auf den Punkt abgestimmt, jeder Ton gezielt gesetzt. Das Ergebnis ist wahrlich überwältigend und atemberaubend. "Ušumgal Kalamma" ist ein Album zum darin Versinken, eines, das die Phantasie entfacht und das Interesse an dieser alten Kultur weckt. Damit stellen Herbst9 nicht nur ihre bisherigen eigenen Werke in den Schatten… Ein absolutes Highlight, dem zu Recht die volle Punktzahl gebührt!