Es geht uns in den Zeiten der Pandemie doch ähnlich: Wir sind recht viel zu Hause und da beginnen viele irgendwann, auch mal den Dachboden, den Keller und die Abstellkammer zu sichten, eventuelle Schätze zu entdecken und Ramsch über Bord zu werfen. So auch beim Medienkonverter geschehen. Ich sagte einmal zu laut "Ach, ich habe grad keine Alben, über die ich schreiben könnte" und stehe nun vor einem Berg von circa 58 Alben und Eps aus ungefähr 12 Jahren, die sich im Fundus angesammelt haben. Es werden sicherlich keine 58 Kritiken, aber der ein oder andere Text kommt wohl dabei herum. Mal sehen, ob sich auch Schätze fanden.

Und beginnen möchte ich gleich mit einem sehr schrägen Schatz: Haiku Funeral tönen seit 12 Jahren aus Marseille heraus, ihre Musik in ständigem, dezenten Wandel und Album Nummer 6 aus dem Jahre 2018 ist bei mir gelandet. Ich gestehe, ich hatte einigen Spaß an dem nicht unbedingt ohrenschmeichelnden Reigen, der da unter dem Deckmantel des Dark Ambient aus dem Boxen drang.

Also Dark Ambient ist das definitiv nicht, was ich da höre. Zumindest nicht auf der ersten CD: 'Decadent Luminosity' klingt hier eher, als ob Laibach versucht haben, den Sound von Allerseelen und Parzival zu vermengen und mit diesem Sound jazzige Tonkunst zu erzeugen. Monotone Rythmen, epische Stimmung, industrial-Krach, jazzige Einlagen z.B. mithilfe eines Saxophons und irgendwie doch ganz entspannte Vibes, die mich an Gorillaz erinnerten. Scheppernde Drums, weiblicher Operngesang, elektronische Spielereien, doomige Bassläufe, haufenweise experimentelle Toneinsätze – Haiku Funeral toben sich rechtschaffen aus und kreieren einen sehr eigenwilligen Klangbrei, eine träge vor sich hinkriechende Bedrohung musikalischer Natur. Es ist schrill, nicht ganz leicht zu konsumieren und immer hart an der Kante. Mal habe ich absoluten Spaß am Gehörten, dann wieder wünsche ich mir etwas versöhnlichere Parts. Aber wirklich kritisieren möchte ich eigentlich nur die Vocals, die leider nicht wirklich schön klingen – egal, ob man sonor vor sich hinbrummelt (wie bei Parzival, nur noch anstrengender) oder spricht. Da hätte man mit etwas mehr Effekten oder dem ein oder anderen Stilwechsel mehr herausholen können. Und denoch: dieser Ritual Klassik Jazz (oder so) ist ein Ohr wert. Auf dem zweiten Silberling wird es dann deutlich "normaler" und ja, Dark Ambient lasse ich gelten. Klangteppiche, deutlich zurückgenommene Vocals, die hier auch angenehmer sind, weil klar und bedeutungsschwanger betont. Weitestgehend frei von Rythmik und wirklichen Melodien schwebt alles vor sich hin, es wirkt wie eine sehr verstrahlte Jamsession: deutlich weniger aufregend, deutlich schmeichelnder und definitiv habe ich mich schon schlechter unterhalten gefühlt. Mit "Oktobersnö" und "Poem of Infernal Flesh" sind zwei sehr geile Tracks, alles in allem ist das Gesamtpaket opulent.

Das Album, auf dem das Duo mit einigen Gastmusikern arbeitete, ist als schickes Digipack bei Aesthetik Death erschienen. Ich rate dringend zu einem Probehorcher – wer mit den beiden Richtungen etwas anfangen kann, der wird auf Albumlänge ohne wirkliche Ausfälle belohnt: Immerhin 1 1/2 Stunden "Vergnügen"?!

 

Haiku Funeral

Decadent Luminosity

 

31.10.2018

Aesthetic Death

 

https://haikufuneral.bandcamp.com/album/decadent-luminosity

 

CD1

01. Scientia Intra Satana
02. нимA
03. Луната Свети Като Смърт
04. The Crown Of His Glory
05. The Dreams Of Celestial Beings
06. Dreaming Kali In The Temple Of Fire

CD2
01. Lacerate the Light
02. Vision Pit
03. Oktobersnö
04. Poem of Infernal Flesh
05. Terror Opens Its Mouth
06. Endlessly