Nun, ich geb's zu, ich habe mich noch nie ernsthaft mit dem Projekt Gregorian, das erfolgreiche Popsongs "gregorianisch" covert, beschäftigt. Umso überraschter war ich beim Durchhören der neuesten Veröffentlichung "The Dark Side". Hier widmen sich die Sänger unter anderem auch Songs aus dem Gothic- und Metal-Bereich. Zuerst einmal ein bißchen Allgemeines zur Gregorianik: Gregorianische Choräle sind einstimmige, lithurgische Gesänge, die in der Kirchensprache Latein intoniert werden. Benannt ist diese frühmittelalterliche Form der geistlichen Musik nach Papst Gregor I, dem Großen (590-604), der die mündlich überlieferten Melodien gesammelt haben soll. Die heute verbindlichen Fassungen der Choräle wurden schließlich 1903 von Papst Pius X (1905-1923) in der Editio Vaticana festgelegt. Nicht alle modernen Songs eignen sich für die gregorianische Interpretation, da es in der Gregorianik keine Halbtöne gibt. Die Arrangements müssen also mit nur 7 Tönen auskommen. Den Hamburger Produzenten Frank Peterson, Carsten Heusman, Jan-Eric Kohrs und Michael Soltau ist es trotzdem wieder gelungen, 12 bekannte Titel passend umzuschreiben und mit 2 Neukompositionen auf CD zu bannen. Obwohl sich die Gesangsparts nach den Regeln der Gregorianik richten, werden bei Gregorian große Zugeständnisse an die Moderne gemacht, beginnend bei der instrumentalen Begleitung bis hin zum Einsatz von Frauenstimmen. Heraus kommen interessante Interpretationen. Begleitet von Klavier, Streichern, Percussion und teilweise richtig rockigen Gitarren versteht es das Projekt, den Melodien ganz neue Seiten abzugewinnen, ohne die Originale allzusehr zu verfälschen. Besonders gut gefällt mir diese Kombination bei "Hurt", wo der Spannungsbogen hauptsächlich mit Klavier erzeugt wird. "More" hingegen kommt mit Violinen und Gitarre im Hintergrund sowie der mitreißenden stimmlichen Begleitung von Annette Stangenberg richtig rockig daher. Weniger gelungen dagegen finde ich "Where The Wild Roses Grow". Hier fehlt mir einfach Nick Caves kräftige Stimme. Selbstredend ist "Ave Satani" aus "Das Omen" wie geschaffen für Gregorian und verursacht nicht nur durch die düstere Gitarre Gänsehaut. Offen bleibt, wie die "Mönche" das "Gegrüßet seist Du, Satan" oder auch den Text von Rammstein's "Engel" mit Ihrem Gewissen vereinbaren... Alles in allem ist "The Dark Side" eine beachtenswerte Schöpfung mit Chartspotential, die vielleicht auch den einen oder anderen "Bunten" dazu veranlassen könnte, sich näher mit unserer "dunklen" Musik zu beschäftigen.