Wenn Gott schweigt und sich vom Menschen abwendet, dann ist Gottesfinsternis. Einst im Matthäus-Evangelium überliefert, als Jesus Christus seine Verzweiflung mit den Worten "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" gen Himmel schrie, greifen die beiden Musiker Daniel Snowwise und Toms Aries diesen in der Theologie und Philosophie viel zitierten Begriff für ihr – wie sie es nennen – freies Musik- und Kunstprojekt wieder auf. Allerdings schöpfen die Beiden ihre Inspiration nicht nur aus theologischem Fundament sondern lassen sich in erster Linie von ihren Beobachtungen und Erfahrungen in der alltäglichen Realität leiten, deren musikalische Umsetzung ihrer Meinung nach nur allzu oft dem Begriff der Gottesfinsternis am nächsten kommt. So bedeutungsschwanger der Titel dieses Projektes der beiden aus dem Ruhrgebiet stammenden Künstler, so emotional, tiefgründig und direkt ist auch die Musik, die sie auf ihrem aktuellen Werbemuster V4.1 präsentieren. So verzichten Toms Aries und Daniel Snowwise auf englische Texte und schöpfen lieber voll aus der Bedeutungsvielfalt, dem Wohlklang und der Poetik der deutschen Sprache. Ihre Texte sind durchweg von beeindruckender Scharfsinnigkeit aber auch schmerzhafter, schneidender Schärfe, die die Unvollkommenheit und das allgegenwärtige Leid auf dieser Erde schonungslos zum Ausdruck bringen. Gottesfinsternis lassen sich nicht auf eine platte, einfältige Sentimentalität und Endzeitstimmung herab, sondern kleiden ihre ehrlichen Emotionen und Reflektionen in ein sprachlich und musikalisch sehr anspruchsvolles Gewand. Atmosphärische Synthieflächen, hämmernde Electro-Beats und harsche Industrialsequenzen verschmelzen mit rockigen Melodien und klassischen, romantischen Elementen zu einer aufregenden, abwechslungsreichen, tanzbaren Klangcollage, die das von extremen Gegensätzen geprägte emotionale Spektrum von Gottesfinsternis in die unterschiedlichsten Farben kleidet. Auch wenn es gerade ihr besonderes Anliegen ist, sich einer stilistischen Klassifizierung zu entziehen – daher auch die bewußt gewählte Bezeichnung als "freies Musik- und Kunstprojekt" und nicht als Band – lassen sich bei diesem Projekt durchaus Parallelen zu Künstlern wie Relatives Menschsein, Das Ich, und vielleicht auch Samsas Traum erkennen. Ihre unmißverständliche Direktheit und Schonungslosigkeit verzaubert und schockiert zugleich seit vielen Jahren die Gesellschaft. Auch Daniel Snowwise und Toms Aries sind zwei ausgesprochen ehrliche, vielseitige und vor allem ernst zunehmende Künstler, deren Musik und die damit verbundenen Intentionen hoffentlich immer mehr Menschen erreicht und auch verstärkt den Weg in die Clubs findet (in mehreren Discotheken im Ruhrgebiet sind einige ihrer Songs bereits fester Bestandteil des abendlichen DJ-Sets). Mit ihrem Projekt Gottesfinsternis beweisen sie Ideenreichtum, Eigenständigkeit und setzen bei denjenigen, die sich mit ihrer Arbeit auseinandersetzen möchten, vor allem auf ein hohes Gut, das dem Menschen einst gegeben wurde, dessen er jedoch zunehmend beraubt wird: die Gedankenfreiheit. Gottesfinsternis sind der Spiegel einer Gesellschaft, die ihrem verzerrten und kranken Abbild direkt in die Augen blickt und sich fortwährend damit auseinandersetzen muss. Derzeit arbeiten Tom und Daniel an ihrem ersten Fulltime-Album, das den Titel "Garten der Vergessenheit" tragen wird und zehn neue Lieder enthält. Wer neugierig geworden ist, sollte einen Blick auf die Homepage von Gottesfinsternis werfen, dort gibt es etliche Hörproben – sowohl von den auf dem Werbemuster enthaltenen Songs, als auch vom kommenden Debüt-Album. Sobald es meine Zeit zulässt, möchte ich Euch die beiden Ausnahmekünstler – die bereits 1997 mit "Frontotem porale Demenz" ihre erste musikalische Zusammenarbeit besiegelten – und ihr Projekt in einem Interview gerne etwas näher auf unserer Seite vorstellen. Denn mich haben sie bereits ziemlich beeindruckt.