Nicht mehr taufrisch, dafür jedoch zeitlos ist das aktuelle Album des türkischen Komponisten, Produzenten und Gitarristen Erdem Helvacioglu. „Wounded breath“ erscheint als Nachfolger des von einer Akustikgitarre inspirierten Vorgängers „Altered realitites“ und präsentiert sich in gänzlich anderem Gewand. Diesmal verzichtet Helvacioglu auf echte Instrumente – der Fokus liegt nun auf der vollständig elektronischen Klangerzeugung und arbeitet mit dem Stilmittel der Klangcollage. „Wounded Breath“ umfasst fünf Stücke (= Collagen). Ihnen ist jeweils ein filmisch bzw. szenisch anmutendes Thema zugeordnet, das durch elektronische bzw. akustische Mittel der Klangerzeugung eine Form, ein Gesicht, eine Identität bekommt und damit zu einem hörbaren Bild vor dem geistigen Auge wird. „Below the cold ocean“ erzählt die Geschichte einer Gruppe von Tauchern im arktischen Ozean, das Erleben von tödlich kaltem Wasser, klirrendem Eis, schneidendem Wind, dem einzigartigen Geräusch, das ein Mensch wahrnehmen kann, wenn er sich völlig unter Wasser befindet. Lebendigkeit und Einsamkeit zugleich, Hall, Echo, das „Singen“ des Wassers, der Wellen. Ganz anders „Dance of Fire”, das mittels einer sanft lärmenden Geräuschkulisse den Atem, den Impuls von Feuer, vom ersten Funken bis zur aggressiv züngelnden Flamme, einfängt. Rhythmisch unterlegt von den Bewegungen eines hypnotisch-ekstatisch agierenden Feuer-Tänzers, um gleich darauf wieder im Chaos sprühender Funken zu versinken, aufregend und beruhigend zugleich. Minimal-Industrial im Spannungsfeld zwischen straightem Rhythmus und unkontrolliert-ungestümem Bewegungsdrang, um am Schluss leise in sich zu versinken und verglühen. Das Zufallsspiel von Glasmurmeln begleitet das rund 17-minütige, leise vor sich hin klickernde „Lead Crystal Marbles. Murmeln fallen zu Boden, springen auf und ab, rollen scheinbar ziellos umher, mal laut, mal leise. Ihre Form unendlich, ohne Anfang und Ende. Das Spiel beginnt und endet und beginnt von vorn, immer und immer wieder. Ist ihr Weg vielleicht doch Bestimmung? Die Faszination von Glas kommt auch in „Blank Mirror“ zum Ausdruck: Ein Mann mustert sein unscharfes Spiegelbild und erkennt sich nicht wieder, gleitet ins Selbstzweifel, auf der Suche nach den Grundfesten (s)einer Existenz. Der Spiegel als Bild für die Unendlichkeit, die Unendlichkeit von Schall, von Geräuschen, Tönen, Hall – ein Dröhnen, das ins Nichts verschwindet, undefinierbar und doch konkret. „Wounded Breath”, Namensgeber des Albums, soll schließlich das Bild einer alten Dame zeichnen, die einsam in ihrem Sterbebett liegend ihr Leben Revue passieren lässt, ein Strudel von Freude und Trauer, Angst und Hoffnung, Träume, Schmerzen, Liebe, Leid – und das Gefühl, noch nicht fertig zu sein in und mit diesem Leben. Die Geräusch- und Soundcollage gleicht einem verstörenden Flashback, hektisch, schnell, verworren, bedrohlich und beängstigend, unkontrollierbar, scheinbar strukturlos und doch geordnet, durchzogen von tiefen Atemgeräuschen – bis zum letzten in diesem Leben hier und jetzt. Erdem Helvacioglus Album ist Kreativität und Experimentierlust pur, benötigt aber auch solche, um verstanden und bildhaft interpretiert werden zu können. Nur fürs „easy listening“ ist „Wounded Breath“ nicht geeignet, eher zur Meditation, vielleicht zur Selbstreflektion. Für den heimischen Plattenteller eine eher heikle, mutige Angelegenheit. Der echte Nutzwert eines solchen Albums ist fraglich, er kommt nur dann zum Tragen, wenn man sich ausschließlich auf das genaue Hören einlässt, ohne Ablenkung und Nebengeräusche