Wer ist Erdem Helvacioğlu? Nach einer entsprechenden Recherche wird schnell klar, dass der türkische Musiker, Produzent und Komponist für Theater-, Film- und Multimediaproduktionen eine bekannte, etablierte Größe im internationalen Musikgeschäft ist. Helvacioğlu, dessen musikalischer Focus auf dem Gebiet des experimentellen Electronic und der Electroacoustic liegt, wagt mit seiner aktuellen Veröffentlichung "Altered Realities" ein außergewöhnliches Experiment. Das Album wurde in Echtzeit auf DAT eingespielt und vereint die verträumten, aber eigenwilligen Klänge einer Akustikgitarre mit der unterkühlten und dennoch weichen, schmeichelnden Eleganz elektronischer Tonfindung und -veränderung. Menschlichen Gesang, Sprachsamples und dergleichen sucht man vergeblich, ebenso jegliche Form der weiteren Nachbearbeitung oder die Unterstützung durch eine weitere Klangquelle. "Altered Realities" umfasst auschließlich originäres Klangmaterial. Im übertragenen Sinne könnte man Helvacioğlus CD-Projekt als Solo- Jamsession bezeichnen, bei der Kästchen voller komplizierter Technik mit vielen Reglern, Knöpfchen und Lämpchen sowie eine Spezialsoftware zur Bearbeitung von Audiofiles die Jam-Partner ersetzen. Die elektronische Verfremdung der Gitarrenklänge steht im Mittelpunkt der sieben Minimal-Epen, deren Titel eine spannende Klangreise durch einen Raum ohne Zeit, durch die Kraftfelder von Erde, Luft und Wasser vermuten lassen. Das Sammelsurium, das Aufeinandertreffen, sich Überlagern, das Konkurrieren von Effekten ruft in vielen Momenten zwiespältige Gefühle hervor: Filigrane, oftmals nur den Hauch eines Augenblicks überdauernde Geräuschfragmente vereinen sich in sphärischem Widerhall, man glaubt das Flirren der erhitzten Luft hören zu können, das Pulsieren des Erdgrundes, die Sprache des Meeres und des Windes. Doch immer scheint hinter dieser intakten, von einer leichten Glückseeligkeit erfüllten Harmonie eine unsichtbare Bedrohung, ein schwacher Schatten zu lauern. Die bisweilen recht diffus und undifferenziert wirkenden Dissonanzen erschweren den Zugang zum Album, sie verhindern an manchen Stellen das Fallen- und Loslassen. "Altered realities" ist eine intensive musikalische Eskapade, die im Spannungsfeld zwischen überraschender Spontaneität und Kalkül steht. Vor dem Hintergrund einer Live-Einspielung wirken die Stücke oftmals fast zu glatt und kantenlos. Glaubt man sie erfasst zu haben, verflüchtigt sich dieser Eindruck sogleich wieder. Was fehlt, ist ein Fix- und Kraftpunkt, aus dem die Titel ihre Energie schöpfen und über den sie zueinander in Verbindung stehen. In Verbindung mit passend inszenierten filmischen Naturdokumentationen hätten die Kompositionen durchaus die Kraft, über sich hinauszuwachsen, lediglich auf CD gebannt, ist leider viel kostbares Potenzial verschenkt. Dennoch ist das neue Werk von Erdem Helvacioğlu eine klangliche Herausforderung für Freunde dunklen Ambients und ausgeklügelter elektronischer Spielereien.