Als Straßenmusikerin startete die gebürtige Berlinerin Elen de Jong, doch längst ist ihr Traum vom Musikmachen nicht mehr nur ein Traum. Nachdem ihre Single „Liegen Ist Frieden“ auf Platz 2 der deutschen iTunes-Charts landete, ist es jetzt Zeit für ein komplettes, deutsches Album, das den Hörer mit einer Portion Sarkasmus und Ironie, aber auch mit viel Melancholie, auf eine Reise ins eigene Ich mitnimmt. Elen de Jong weiß, was sie will und reißt mit und so wundert es nicht, dass das als Crowdfunding-Aktion gestartete Projekt nun unter dem Namen „Blind Über Rot“ als Neuerscheinung auf uns wartet.

Kraftvoll, reif und doch manchmal auch zerbrechlich, so kann man die Stimme der Berlinerin beschreiben, die mit ihren Texten genau dorthin zielt, wo es zünden soll. Schlägt man das Booklet auf, so führt uns als „Vorwort“ das Hohelied der Liebe des Paulus von Tarsus hinein in die ungestüme Innenwelt. Die Liebe, so heißt es hier, sie erträgt alles, sie glaubt und hofft immer, sie hält allem stand. Das Standhalten - dafür steht Elena und doch, wer schwankt nicht hin und wieder mal im Bangen um den Verlust der Hoffnung? „Liegen Ist Frieden“ bringt eine beschwingte Gleichgültigkeit mit sich, einen poppigen, chilligen Gitarrensound, über dem sich die klare Stimme der Sängerin erhebt. „Hörst du die Stimme, die sagt, nutze den Tag? Aber ich will nicht. Ich will lieber hier liegen, für immer hier liegen, denn Liegen ist Frieden.“ Wer kennt es nicht, dieses Gefühl, wenn man einfach nicht mag, eine Stimmung, die im Chor verstärkt wird. Bei der einprägsamen Melodie des Refrains möchte der Fuß sarkastisch im Takt des bellenden, inneren Schweinehundes mitwippen. Du möchtest gern, dass dir alles egal ist, doch irgendwie ist es das doch nicht, oder? Der nachfolgende Track zeigt deutlichen Sarkasmus, der auf belebten Rhythmen liegt, deren Wellen durch das Auf und Ab der Stimme verstärkt werden und sich schließlich zu aufbrausenden Refrains zusammenfinden. Es ist das, was die Songs ausmacht, der Wechsel zwischen gebändigtem, melancholischem Gesang und vorantreibenden, leidenschaftlichen, melodischen Parts, die nicht aus dem Kopf gehen. „Und du kennst dich ja auch viel zu gut, um nicht zu wissen, wie es wirklich ist, dass es immer wieder Tage gibt, an denen du dir selbst der Nächste bist.“ Beim Hören der Worte kann man mitunter nicken. Im sich anschließenden „Hallo“ führt die melancholische Gitarre, bis sie vom mitreißenden Melodiebogen überstimmt wird. Zunächst gemäßigt, dann doch wieder lebhaft bewegt zeigt sich der Sound. Die Stimme, fast rauchig macht süchtig: „Hallo, ist da jemand? Jemand, der hält, was er verspricht?“ Und wieder packt der Refrain: „Gib mir Liebe, gib mir Zweifel, gib mir Hoffnung, gib mir Schmerz, gib mir Frieden, gib mir Träume, gib mir Herz, gib mir mehr!“ Der Titel ist ein Auftürmen der inneren Wellen. Ganz zurückblickend und davontragend folgt „Luftschlösser“ mit seinen fast wehmütigen Klaviertönen, die versuchen, über die Drums zu herrschen. Elen malt in ihren Songs Bilder und sie führt zurück in eine längst vergangene Zeit. „Manchmal sehn` ich mich zurück, zurück in diese Zeit.“ Und es wird wieder gefühlvoll Fahrt aufgenommen: „Komm wir bauen wieder Luftschlösser – unser eigenes kleines Reich!“ Es folgt der Song, der dem Album den Namen gab. Schräg durchbricht die Gitarre hier und da in „Blind Über Rot“ den inzwischen in uns so verwurzelten Refrain, dessen Melodie uns führt. Was tun wir nicht alles, wenn wir verärgert sind, verletzt oder sogar verzweifelt? „Aus Gesprächen wird so oft ein Monolog. Ein ewiges Tauziehen und keiner lässt das Seil los.“ Die Stimme setzt sich klar vor einzelne Klaviertöne. Und doch, setzt der Song nicht auch positive Akzente? „Mit dir könn` die kleinen Momente groß werden. Kann mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen.“, heißt es hier. Doch was, wenn es zu spät ist, um etwas zu richten? „Und alles, was wir waren, steht schon zu lang in Flammen.“ Es folgt der Titel „Flammen“. Die Gitarre schreitet im Tempo weit vor der Stimme voran, was dem Song eine Tragik verleiht, ehe wieder aufwirbelnd zum Chorus abgehoben wird. Und doch stirbt die letzte Hoffnung nie. „Vielleicht können wir auf dieser Asche irgendwann neue Blumen säen.“ Und manchmal willst du dich aber doch einfach in dir selbst einschließen. Ausrufende Melancholie, ein Hauch Sarkasmus und ein wellenschlagender Rhythmus sind die Elemente von „5 Meter Mauern“. „Ich hab 5 Meter Mauern, hab hinter 5 Meter Mauern ein Gefängnis gebaut.“ Aber wenn du mal in dich horchst, bist du glücklich in deinem Gefängnis? Worin liegt das Glück, das Zuhause? Elen beherrscht es ausgezeichnet, gedanklich Bilder zu malen und beweist es auch in „Andere Arcaden“, einem Titel, der sich durch elektronisch-dumpfen Sound abhebt. „Bist du zuhause, da wo du bist? Und ist`s da so, wie du`s wolltest für dich? Und hast du ein Bett und daneben ein Licht und Einen, der dich berührt, dem du wichtig bist?“ Wave-gestützt verliert man sich wieder im Aufbrausenden. „Vielleicht hast du ihn schon vor uns gefunden, den Platz am Ende vom Regenbogen.“ Du sagst, alles wird gut, aber wir drehen uns nur im Kreis. Das ist die Aussage von „Gut Werden“. Während die Stimme gleichmäßig, beharrlich auf dich einwirkt, schreitet der Sound immer forscher voran, lässt die Gitarre einsteigen und das Schlagzeug bestätigt nach jeder so gut eingepackten Anklage die Ernsthaftigkeit. „Nur weil man´s oft genug sagt, werden Wünsche nicht wahr. Du sagst mir, es wird gut. Aber was willst du tun?“ Beschwingte Worte wandeln sich ausufernd. Man kann natürlich auch alles totschweigen, was gerade nicht ganz richtig läuft. „Lass Uns Ja Nicht Drüber Reden“ folgt in einer verträumt-chilligen Ironie. Frech gezupft, geschlagen, spielt hier die Gitarre auf den Drums. Sie wird sich Aufbäumen, wie der Fingerzeig der Worte: „Lass uns ja nicht drüber reden. Das gibt doch nur Probleme.“ Aber Probleme sollte man nicht totschweigen. In der Einsamkeit der Nacht kehrt alles zurück, was dein Innenleben schmerzlich lodern lässt. Die Schlaflosigkeit zerreißt dich. „Die Nacht hat mich wieder, wieder fängt sie mich ein. Ich bin so müde und das letzte Licht, das bleibt, ist nur eine Lüge, die die Geister vertreibt.“ Das Klavier ist langsam auf den schnellen Beats, man erwartet ihn, den Refrain, der uns zerreißen soll und dann kommt sie, die zischende Schlange der Melancholie. Das Album schließt mit „Happy End“, aber gibt es wirklich ein glückliches Ende oder heißt es einfach nur durchdrehen? „Ich will für immer hierbleiben. Jetzt Happy End und dann immer so weiter.“ Der Song ist eine Mischung aus Höhenflug und Abgrund und du bist genau dazwischen. Verträumt klingen der Gesang und das Klavier, sie sind eine Einheit und sie tragen gleitend und gefühlvoll davon. Und dieses Bild im Kopf, das bleibt: „In der einen Hand das Feuer in der anderen ein Bier, freihändig auf dem Fahrrad, sang sie eigentlich nur von dir.“

Elen de Jongs Debüt in deutscher Sprache ist gelungen – anders als soundtechnisch tiefschwarz, aber mehr als hörenswert. Bildhaft und mit Leidenschaft zeigt die junge Berliner Schnauze Gefühlslagen auf, die wohl ein jeder kennt und einmal gehört, reißen die Melodien mit. Es lohnt sich, einmal reinzuhören.

 

19.06.2020

 

Vertigo Berlin (Universal Music)

 

https://www.elenofficial.com

 

01. Liegen Ist Frieden

02. Egal

03. Hallo

04. Luftschlösser

05. Blind Über Rot

06. In Flammen

07. 5 Meter Mauern

08. Andere Arcaden

09. Gut Werden

10. Lass uns Ja Nicht Drüber Reden

11. Die Nacht

12. Happy End