Wenn eine Band über ein Vierteljahrhundert im Musikgeschäft tätig ist, bleibt es nicht aus, dass sie zahlreiche Wandlungen und Phasen durchläuft. De/Vision sind ein Paradebeispiel für eine solche Entwicklung: neue Produzenten, mutige musikalische Experimente und ein nicht enden wollender Reigen von Labelwechseln prägten ihre Karriere. Schließlich setzte die Gründung ihres eigenen Labels Popgefahr Records einen Meilenstein und eröffnete eine neue Ära in der Bandgeschichte. Seitdem scheint die Kreativität der Wahlberliner geradezu unaufhaltsam. Nach dem viel beachteten Album Popgefahr im Jahr 2010 und einer Reihe anschließender Remix-Veröffentlichungen folgt nun, rund zwei Jahre später, das nächste Kapitel: Rockets And Swords.
Wie immer bei einer solch regen Produktivität bleiben kritische Stimmen nicht aus. So wurde bemängelt, dass sich diese Schlagzahl weniger aus kreativen Impulsen speise, sondern vielmehr einem geschäftstüchtigen Kalkül geschuldet sei. Doch die beiden Bandmitglieder Steffen Keth und Thomas Adam scheinen davon unbeeindruckt. Mit dem Eröffnungstrack Boy Toy setzen sie auf unterkühlte Eleganz, schlanke Beats und eine retroinspirierte Atmosphäre, die wie ein roter Faden das gesamte Album durchzieht. Und genau hier liegt eine der größten Stärken von Rockets And Swords: Die Songs sind durchzogen von (Retro-) Zitaten, seien es Anleihen bei Depeche Mode, den Klangfarben der 1980er-Jahre oder den frühen Tagen von De/Vision selbst. Diese Elemente werden jedoch so geschickt verwoben, dass die Kompositionen in sich harmonisch und stimmig bleiben.
Stimmigkeit ist ohnehin das zentrale Schlagwort. Auf Rockets And Swords passt nahezu alles zusammen. Keth und Adam nehmen sich die nötige Zeit, um ihren Songs den letzten Schliff zu verleihen, wo immer sie es für angebracht halten. Ein besonders gelungenes Beispiel ist das Finale der Ballade Want To Believe, in dem Streicher die Melodieführung übernehmen und für einen ergreifenden Ausklang sorgen. Mit Superhuman liefern die beiden eine klassische Synthpop-Nummer ab, die eindrucksvoll zeigt, dass sie ihr Handwerk nach wie vor meisterhaft beherrschen. Thomas Adam selbst beschreibt den De/Vision-Sound des Jahres 2012 als einfacher und klarer – und genau das spiegelt sich in den Tracks wider.
Die melancholischeren Momente des Albums finden sich in Stücken wie Beauty Of Decay und Brotherhood Of Man, die getragen und mit einer fast schon traurigen Note daherkommen. Dem gegenüber stehen Tracks wie Stargazer, ein typischer De/Vision-Song, der Fans vertraut und doch erfrischend erscheinen dürfte. Für Abwechslung sorgt das unterkühlt arrangierte Binary Soldier, während Bipolar sich ohne Umschweife als Oldschool-Synthpop-Perle ausweist – ein Kleinod für all jene, die die alten Stücke der Band lieben. Gegen Ende des Albums stellt sich ein herrlich nostalgisches Gefühl ein, insbesondere bei Stücken wie Mystified. Doch trotz dieser Rückbesinnung auf vergangene Zeiten klingt die Band keineswegs verstaubt oder altmodisch. Das ruhig beginnende Running All Night mit seinem mitreißenden Refrain markiert für mich persönlich den Höhepunkt von Rockets And Swords – ein Song, der sich sofort ins Gedächtnis einprägt und für Gänsehaut sorgt.
Leider liegt mir die limitierte Version des Albums mit zwei zusätzlichen Tracks – darunter das deutschsprachige Kamikaze – nicht vor, sodass ich hierzu keine Einschätzung geben kann. Über den Sinn und Unsinn von Remix-CDs kann man sicherlich vortrefflich streiten. Unbestreitbar ist jedoch, dass die Qualität von Rockets And Swords durchweg überzeugt.
Natürlich gibt es immer Raum für Verbesserungen. So könnten einige Refrains emotional noch packender gestaltet sein, und mancher Reim – beispielsweise in Boy Toy – wirkt etwas vorhersehbar. Dennoch lässt sich festhalten, dass De/Vision mit diesem Album nicht nur eines ihrer besten Werke seit vielen, vielen Jahren geschaffen haben, sondern zugleich eines der herausragendsten Synthpop-Alben des Jahres 2012. Spätestens beim letzten Drittel der Platte dürften Fans der ersten Stunde von Rührung ergriffen werden – Freudentränen inklusive. Ich bin begeistert – vielen Dank, De/Vision, für dieses Meisterwerk!