Und da ist es nun – schon wieder ein neues DM-Album. Ich wollte eigentlich vermeiden, diese Kritik erneut mit einem Rückblick darauf zu beginnen, wie viel Zeit seit dem letzten Album vergangen ist. Aber es handelt sich um Depeche Mode – eine Band, deren Musik viele von uns wohl mehr geprägt hat als die irgendeiner anderen Truppe. Man ist mit dem Sound und einer bestimmten Lebenseinstellung aufgewachsen, die möglicherweise sogar den eigenen Lebensweg beeinflusst hat. Je nachdem, bei welchem Album man damals „eingestiegen“ ist, hat man seine persönlichen Lieblingshymnen aus früheren Tagen. Und hört diese vermutlich auch heute noch regelmäßig – sei es auf diversen Depeche Mode-Partys oder (manche vielleicht sogar) live bei den Konzerten.
Aufgrund dieser langen und sehr emotionalen Bindung zur Faszination Depeche Mode gehen bei jedem neuen Release die Wogen aufs Neue hoch. Tief im Inneren hofft man eben doch, eine neue „Violator“ zu bekommen – oder wenigstens ein bisschen elektropoppigen Glamour und spritzigen Sound von damals. Der klassische Aufschrei in der Community: „Alan Wilder muss unbedingt zurück!“ Liebe Gemeinde, es ist wieder einmal Zeit, sich mit den Fakten anzufreunden: Alan Wilder ist erneut nicht zurückgekehrt, die Herren der Stammbesetzung gehen auf die 60 zu, und die Musik, die sie offensichtlich machen wollen, ist einfach kein poppiger Synthie-Sound mehr. Und das ist bitte auch ihr gutes Recht.
Was hat sich also zum letzten Album geändert? Gute Frage. Zunächst einmal hat man sich vom Produzenten der letzten Alben getrennt – was mich persönlich sehr gefreut hat. Denn man versucht sich ja so seine Erklärung zurechtzulegen, warum einen das neue Werk der Helden vielleicht nicht so richtig vom Hocker reißt. Wobei ich fairerweise sagen muss, dass Ben Hillier auf der Delta Machine durchaus ordentlich abgeliefert hat. Aber neues Album, neues Glück – und eine hohe Latte für James Ford von Simian Mobile Disco. Was dieser kann, muss hoffentlich niemandem mehr erklärt werden. Ford ist seit vielen Jahren in der englischen Techno-/Dance-/Electro-Szene hoch angesehen, und ich war ehrlich begeistert, dass er den Zuschlag bekommen hat – und entsprechend gespannt, was er zu einem neuen DM-Album beitragen kann.
Los ging alles ja schon letztes Jahr auf der Pressekonferenz zur Tourankündigung, als ein paar Schnipsel zu hören waren, die allerdings nicht viel preisgaben. Ein Teil davon stammte von „Revolution“, der ersten Single aus Spirit. Und die kam dann endlich im März – aber... im gut sortierten Plattenladen? Denkste. Weit gefehlt. Sie erschien ausschließlich digital. Was für ein Scherz. Kein Video, keine CD, keine 7"-Vinyl, kein zweiter Song (aka B-Seite) – einfach nur diese eine trockene Nummer. Auch kein Remix war dabei, der das Ganze vielleicht noch hätte retten können. Und meiner Meinung nach hätte „Revolution“ einen Remix wirklich bitter nötig gehabt. Die Message steht außer Frage und ist mehr als berechtigt – aber musikalisch hätte man schon etwas in Richtung Wrong liefern müssen, denn dafür hat „Revolution“ einfach zu wenig Durchzug.
Interessanterweise tauchten schon wenige Stunden nach Release Fan-Remixes und Coverversionen auf, die deutlich mehr aus der Nummer herausholten – allen voran die Variante von Leæther Strip. Tage, beziehungsweise Wochen später, folgte dann das Video zur Single, worüber man sich immerhin freute, die drei Herren mal wieder gemeinsam zu sehen – und dann auch eine Remix-CD. Leider mit eher überschaubarer Qualität. Die Doppel-Vinyl mit weiteren, mehr oder weniger verheißungsvollen Remixes ist für April (!!!) angekündigt – eine doch recht seltsame Release-Strategie. Nun gut, das war also der Album-Vorbote. Gelinde gesagt für mich ein zweites Heaven – nicht wirklich spektakulär, mit einem extrem platten Refrain. James Ford ist darauf kaum hörbar, das Ganze klang eher wie ein Überbleibsel aus den Delta Machine-Sessions. Entsprechend waren meine Erwartungen an das Album extrem gesunken – ich rechnete mit dem Schlimmsten.
Aber nun ist der Spirit angekommen. Und siehe da: Am Freitag liegt tatsächlich eine CD im Laden – und wir haben schon reingehört. Festhalten: Ich bin begeistert! Für mich das beste Album seit langem, vielleicht sogar seit Ultra. Sicher, es sind keine richtigen Hymnen darauf, und es ist auch kein Synthiepop, wie ihn andere Bands 2017 noch machen. Aber es ist ein extrem elektronisches Werk mit vielen Facetten geworden – der Blues à la Soulsavers & Co hält sich erfreulicherweise zurück. Viele Stücke knattern und wabern richtig fein dahin, manche haben sogar Outros oder Passagen, die an Ultra und Violator erinnern. Insgesamt klingen die Songs deutlich vollständiger als auf SOTU und Delta Machine. James Ford hat wirklich gute Arbeit geleistet. Sicher, er hätte sich stellenweise noch etwas mehr aus dem Fenster lehnen können, aber ich befürchte, das wäre nicht im Sinne der Band gewesen.
Was mir diesmal besonders auffällt, ist die Präsenz der Texte, die sonst bei DM oft eher im Hintergrund standen. Das mag mehrere Gründe haben – aber bei Spirit sorgt genau das für eine extrem düstere Stimmung. Und das, obwohl das Album bereits vor Trump und Brexit fertiggestellt wurde. Irgendwie schockierend, dass sie solche Entwicklungen schon ahnten – und überraschend, dass ihnen so viel daran liegt, ihre Botschaft zu transportieren. Insofern finde ich den Albumtitel dann doch recht passend. Und man darf hoffen, dass Depeche Mode ein wenig Spirit zurückbringen.
Was die Tracks im Einzelnen betrifft, ist der Großteil eher ruhig und regt eher zum Nachdenken als zum Tanzen an. Von den ruhigeren Stücken gefallen mir besonders „Cover Me“, das stark an das Album mit der Rose erinnert, sowie „The Worst Crime“. Die Midtempo-Nummern, die herausstechen, wären wohl „You Move“, wo der Synthie schön prasselt, und „Poorman“, ein Song, der sich großartig aufbaut, aber leider etwas abrupt endet – da hätte ich gern noch eine Minute weiter geloopt. Der Ausreißer auf Spirit ist für mich „Scum“ – die dreckigste Nummer des Albums, die alles hat, was man braucht: präzise Synths, verzerrte Vocals, gute Riffs und Textzeilen zum Mitgrölen. DAS wäre eine würdige erste Single gewesen – schade eigentlich.
Meine Lieblingsnummer ist allerdings jene, bei der Dave wieder einmal mit Kurz Uenala, aka Kap10Kurt, gearbeitet hat: „No More“ – wohl der klassischste Song des Albums, mit solidem Refrain und herrlichen Soundspielereien. „So Much Love“ sei auch noch erwähnt – ein Track, der gut von der Delta Machine stammen könnte, deshalb aber etwas aus dem Rahmen fällt. Herr Ford hat jedoch solide daran gefeilt, und unterm Strich hebt sich der Song doch vom Vorgänger ab.
Ach ja: „Revolution“ habe ich behutsam wieder in die Playlist aufgenommen – aber aktuell ist sie leider, zusammen mit „Eternal“ (Gores Song für seine Tochter – und den radioaktiven Niederschlag), eine meiner beiden Nieten auf dem Album. Wie dem auch sei: Im Netz hat ein nicht ganz unbekannter Jemand Spirit als die „Black Celebration“ des Jahres 2017 bezeichnet – im Sinne davon, wie ein Album sich jenseits des Mainstreams erst bewähren muss, um später als Klassiker seiner Zeit anerkannt zu werden. Ganz so weit würde ich nicht gehen – aber der Ansatz zum Klassiker ist meiner Meinung nach durchaus vorhanden. Viele der Tracks sind echte Perlen und haben das Potenzial, zu wachsen und nachhaltig zu wirken.
Also: Gebt Spirit eine Chance – er hat es sich verdient. Depeche Mode – Spirit, das 14. Studioalbum der Band, erscheint weltweit am 17.03.2017 als CD, Deluxe-CD mit fünf Bonus-Tracks/Remixes und als Doppel-Vinyl mit schickem Etching auf der vierten Seite.
Depeche Mode - Spirit

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